Regulierung von Gene Drive Organismen auf internationaler Ebene

Es gibt kein internationales Abkommen über Gene Drive Organismen. Das Thema Gene Drives wird jedoch seit der Entwicklung erster Gene Drive Organismen in den Jahren 2014/ 2015 im Rahmen internationaler Abkommen diskutiert. Außerhalb der UN-Biodiversitätskonvention wurden bislang noch keine Regeln oder Empfehlungen beschlossen. Rechtlich gesehen sind jedoch Empfehlungen der Vertragsstaatenkonferenzen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt oder auch anderer internationaler Organisationen weder für die Vertragsparteien noch für andere Staaten bindend. Auch Leitfäden sind nicht rechtsverbindlich. Insofern gibt es derzeit keine international verbindlichen Bestimmungen über die Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Umwelt.

Seit 2015 werden Gene Drives innerhalb der UN-Biodiversitätskonvention im Rahmen ihrer Arbeit zur synthetischen Biologie und als Teil der Diskussionen über die Risikobewertung lebender modifizierter Organismen (LMO) als Teil des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit diskutiert. Der Vertrag über die Konvention wurde im Jahr 1992 geschlossen und ist 1993 in Kraft getretenen. Gegenwärtig sind 195 Staaten Vertragsparteien der Konvention, mit der bemerkenswerten Ausnahme der Vereinigten Staaten. Die EU ist der Konvention im Jahr 19931 beigetreten. Alle EU-Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich sind ebenfalls Vertragsparteien des Übereinkommens.

Bei der 14. Konferenz der Vertragsparteien der UN-Biodiversitätskonvention (CBD COP 14) diskutierten Ende 2018 die Delegierten über einen Beschluss zur synthetischen Biologie,2 der auch Regelungen zu Gene Drive Organismen enthalten sollte. Einige Vertragsparteien brachten die Forderung nach einem Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Umwelt ein. Dies hatten im Vorfeld der Konferenz über 160 zivilgesellschaftliche Organisationen, vor allem aus der alternativen Landwirtschaftsbewegung und dem Globalen Süden in einem offenen Brief3 gefordert. Der Vorschlag fand jedoch nicht den erforderlichen Konsens, da sich insbesondere afrikanische Länder, angeführt von Nigeria und Südafrika, überraschend gegen ein Moratorium aussprachen.

Recherchen auf Grundlage von Dokumenten, die im Rahmen der US-amerikanischen Bestimmungen zur Informationsfreiheit eingefordert wurden, kamen zu dem Ergebnis, dass dieses veränderte Abstimmungsergebnis auf die Einflussnahme des von der Bill & Melinda Gates Stiftung finanzierten Projekts Target Malaria zurückgeht. Als Gene Drive Files4 veröffentlichte interne Korrespondenzen und Dokumente brachten ans Licht, dass Target Malaria eine Public Affairs Firma der Agrarindustrie namens Emerging AG finanziert hatte. Sie rekrutierte und koordinierte ca. 65 Wissenschaftler*innen, die zu Mitgliedern in Expertengremien (Open-ended Online Forum on Synthetic Biology / Ad Hoc Technical Expert Group (AHTEG) der CBD wurden.

Der schließlich auf der CBD COP 14 verabschiedete Beschluss 14/19 zur synthetischen Biologie5  vertritt die Auffassung, dass Forschung und Analyse zu Gene Drives erforderlich seien und spezifische Leitlinien hilfreich sein könnten, um eine Einzelfallbewertung von Gene Drive Organismen zu unterstützen. Des Weiteren erklärte der Beschluss, dass die “freie, vorherige und informierte Zustimmung” indigener Völker und lokaler Gemeinschaften “gerechtfertigt sein könnte”, wenn die Freisetzung von Gene Drive Organismen in Betracht gezogen werde. Als Kompromiss6 in Bezug auf die Forderungen nach einem Moratorium konnten sich die Vertragsparteien lediglich auf unverbindliche Vorsorgeerwägungen in Bezug auf die Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Umwelt einigen.

Diesbezüglich werden die Vertragsparteien und andere Regierungen aufgefordert, unter Berücksichtigung der derzeitigen Unsicherheiten in Bezug auf Gene Drives einen Vorsorgeansatz im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens anzuwenden. Schließlich fordert er die Vertragsparteien und andere Regierungen dazu auf, die Einführung von Gene Drive Organismen in die Umwelt, auch zu Versuchszwecken sowie zu Forschungs- und Entwicklungszwecken, nur unter Erfüllung der folgenden Bedingungen in Erwägung zu ziehen:

  1. wissenschaftlich fundierte Risikobewertungen auf Einzelfallbasis
  2. Vorhandensein von Maßnahmen des Risikomanagements, um gegebenenfalls mögliche nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder zu minimieren
  3. gegebenenfalls die „vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung“, die „freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung“ oder die „Genehmigung und Beteiligung“ potentiell betroffener indigener Völker und lokaler Gemeinschaften eingeholt wird, soweit dies im Einklang mit den innerstaatlichen Gegebenheiten und Rechtsvorschriften möglich ist.7

Zusätzlich erwägt der Beschluss 14/19 die Empfehlungen einer CBD Expertengruppe (SBSTTA) zur synthetischen Biologie – darunter zu Gene Drives – auf der nächsten COP zu erörtern.

Das Cartagena Protokoll über die biologische Sicherheit ist ein rechtlich verbindliches Protokoll im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention (CBD). Es wurde von 170 Staaten, einschließlich aller EU-Mitgliedstaaten, sowie der EU ratifiziert. Die USA, Australien, Kanada und Argentinien sind keine Vertragsparteien des Protokolls.

Das Protokoll soll die sichere Handhabung, Transport und Verwendung lebender modifizierter Organismen (living modified organisms LMOs, entspricht weitgehend der EU Definition von GVO) gewährleisten und nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und Risiken für die menschliche Gesundheit minimieren. Beschlüsse des Protokolls müssen von den Unterzeichnerstaaten in nationales Recht umgewandelt werden.

Gegenwärtig verpflichtet Artikel 17 des Cartagena Protokolls die Unterzeichnerstaaten dazu, das Sekretariat und alle betroffenen oder möglicherweise betroffenen Staaten (Vertragsparteien und Nichtvertragsstaaten) über jedes Ereignis unter ihrer Hoheitsgewalt zu informieren, das zu einer unbeabsichtigten grenzüberschreitenden Ausbreitung lebender veränderter Organismen (also gentechnisch veränderter Organismen und damit auch Gene Drive Organismen) führt oder führen kann. Dazu verpflichtet auch die EU-Verordnung 1946/2003, die das Protokoll umsetzt.8 Sie schreibt vor, dass die EU-Mitgliedstaaten die unbeabsichtigte grenzüberschreitende Ausbreitung von GVO verhindern sollen.9 Damit geht die EU weiter als die Bestimmungen des Cartagena Protokolls vorgeben, denn diese sehen in so einem Fall nur den Beginn gegenseitiger Konsultationen vor.

Auf ihrer neunten Sitzung erkannte die Konferenz der Mitglieder des Cartagena Protokolls (COP-MOP9) mit einem Beschluss die möglichen negativen Auswirkungen von Gene Drive Organismen auf die Umwelt an. Dieser Beschluss bekräftigt, dass im Vorfeld einer Freisetzung solcher Organismen in die Umwelt erwogen werden müsse, ob Forschung und (Risiko-) Bewertung notwendig seien und ob spezifische Leitlinien hierfür hilfreich sein könnten, um eine einzelfallbezogene Risikobewertung durchführen zu können. Internationale Zusammenarbeit, Wissensaustausch und ein Aufbau von Kapazitäten sollen zur besseren Bewertung möglicher nachteiliger Auswirkungen von Gene Drive Organismen dienen.10 Auf ihrer zehnten Tagung werden die Mitgliedsparteien des Protokolls nun erörtern, ob Leitlinien zu Gene Drive Organismen ausgearbeitet werden sollen.

Das Nagoya-Kuala Lumpur Zusatzprotokoll über Haftung und Entschädigung ist ein Unterprotokoll des Cartagena Protokolls über die biologische Sicherheit. Es trat im Jahr 2018 in Kraft und zählt 46 Unterzeichnerstaaten, darunter 21 EU-Mitgliedstaaten und die EU. Das Protokoll sieht Haftungsregeln für Fälle vor, in denen die Bestimmungen des Cartagena Protokolls nicht befolgt wurden. Wie das Cartagena Protokoll selbst, gilt auch dieses Zusatzprotokoll für Gene Drive Organismen. Allerdings gibt es aktuell keine auf Gene Drives zugeschnittenen spezifischen Bestimmungen.

Nach Artikel 3 des Protokolls gelten Haftungs- und Entschädigungsbestimmungen wenn Schäden aus der grenzüberschreitenden Bewegung von lebenden modifizierten Organismen (LMO), also gentechnisch veränderten Organismen, entstehen, egal ob sie bewusst, unbewusst oder illegal in die Umwelt eingeführt werden.11 Schäden werden dabei nach Artikel 2 als negative Effekte für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität definiert.

Artikel 2 bestimmt auch, dass Reaktionsmaßnahmen nur dann ergriffen werden können, wenn der Schaden messbar, beobachtbar und bedeutsam ist. Die Bedeutsamkeit der Schäden ermisst sich daran,

  • ob sie langfristige oder dauerhafte Veränderungen nach sich ziehen, die nicht durch natürliche Erholung innerhalb einer angemessenen Zeitspanne behoben werden können,
  • wie groß das Ausmaß der qualitativen oder quantitativen Veränderungen ist, die sich nachteilig auf die Komponenten der biologischen Vielfalt auswirken,
  • ob sie die Fähigkeit der Biodiversität verringern, Güter oder Dienstleistungen zu liefern,
  • wie groß das Ausmaß der nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ist.12

Problematisch ist, dass es keine finanziellen Garantien durch das Protokoll oder Durchsetzungsmechanismen für das Protokoll gibt.

Im Jahr 2021 veröffentlichte eine unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingesetzte Expertengruppe einen Rahmenleitfaden für die Bewertung von gentechnisch veränderten Mücken13. Gegenüber Gene Drives zeigt sich die Gruppe eher positiv was zukünftige wissenschaftliche Erfolge in Bezug auf örtliche und zeitliche Eingrenzung der Gene Drives betrifft.

Die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen verbietet die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Biowaffen zur militärischen Nutzung. Die Konvention wurde von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Jahr 1971 verabschiedet und trat 1975 in Kraft. 183 Vertragsstaaten haben die Konvention unterzeichnet und verpflichten sich damit, alle Bestände von Biowaffen zu zerstören. Allerdings gibt es keine Vereinbarungen zu diesbezüglichen Kontrollen. Auch Offenlegungspflichten und Kontrollen konnten bisher nicht durch ein Zusatzprotokoll integriert werden.

Gene Drives sind nach Artikel 1 der Biowaffenkonvention dann verboten, wenn sie für feindliche Zwecke eingesetzt werden. Das wäre zum Beispiel auch der Fall, wenn sie als Mittel zum Ausbringen von Giften oder Krankheitserregern dienen.14 Genauso ist auch jede Anwendung von Gene Drives verboten, wenn es keine Rechtfertigung für deren Nutzung zu friedlichen Zwecken gibt oder sie anderweitig mit den Zielen und Bestimmungen der UN-Biowaffenkonvention unvereinbar sind.15

Derzeit gibt es jedoch wenige überzeugende Szenarien für Gene Drive Waffenprogramme, solange sich Gene Drives und ihre schädliche Wirkung nicht räumlich oder zeitlich eingrenzen lassen.16

  1. EUR-Lex Website (1993). Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. Council Decision of 25 October 1993 concerning the conclusion of the Convention on Biological Diversity (93/626/EEC). Online: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993D0626:EN:HTML [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  2. Convention on Biological Diversity (2018a). Decision adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity. 14/19. Synthetic biology. 14th Meeting of the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity; 2018 Nov 17-29, Sharm El-Sheikh, Ägypten. Online: https://www.cbd.int/doc/decisions/cop-14/cop-14-dec-19-en.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  3. ETC Group Website (ohne Jahr). ETC Group. A Call to Protect Food Systems from Genetic Extinction Technology: The Global Food and Agriculture Movement Says NO to Release of Gene Drives. Online: https://www.etcgroup.org/sites/www.etcgroup.org/files/files/forcing_the_farm_sign_on_letter_english_web.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  4. Gene Drive Files Website (2017). Gene Drive Files. Online: http://genedrivefiles.synbiowatch.org/ [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  5. Convention on Biological Diversity (2018a). Decision adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity. 14/19. Synthetic biology. 14th Meeting Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity; 2018 Nov 17-29, Sharm El-Sheikh, Ägypten. p.2. Online: https://www.cbd.int/doc/decisions/cop-14/cop-14-dec-19-en.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  6. Convention on Biological Diversity (2018b). Biodiversity financing and safeguards: Lessons learned and proposed guidelines. 12th meeting of Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity; 2014 Oct 6-17, Pyeongchang, Republic of Korea. Online: https://www.cbd.int/doc/meetings/cop/cop-12/information/cop-12-inf-27-en.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  7. Vgl. ebenda, Abschnitt 11
  8. EUR-Lex Website (2003). Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. 32003R1946 – Verordnung (EG) Nr. 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen (Text von Bedeutung für den EWR). Amtsblatt Nr. L 287 vom 05/11/2003 S. 0001 – 0010. Online: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32003R1946&from=DE [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  9. Secretariat of the Convention on Biological Diversity (2000). Cartagena Protocol on Biosafety to the Convention on Biological Diversity: text and annexes. Article 14 (1) Online: https://www.cbd.int/doc/legal/cartagena-protocol-en.pdf [letzter Zugriff: 13.03.2020]
  10. Convention on Biological Diversity (2018c). Decision adopted by the Parties to the Cartagena Protocol on Biosafety. 9/13. Risk assessment and risk management (Articles 15 and 16). 9th Meeting of the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity serving as the Meeting of the parties to the Cartagena Protocol on Biosafety; 2018 Nov 17-29, Sharm El-Seikh, Ägypten.  Online: https://www.cbd.int/doc/decisions/cp-mop-09/cp-mop-09-dec-13-en.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  11. Convention on Biological Diversity Website (ohne Jahr a). Secretariat of the Convention on Biological Diversity (SCBD); c2001-2016. Text of the Nagoya-Kuala Lumpur Supplementary Protocol on Liability and Redress to the Cartagena Protocol on Biosafety – Article 3. Scope. Online: http://bch.cbd.int/protocol/nkl/article3/ [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  12. Convention on Biological Diversity Website (ohne Jahr a). Secretariat of the Convention on Biological Diversity (SCBD); c2001-2016. Text of the Nagoya-Kuala Lumpur Supplementary Protocol on Liability and Redress to the Cartagena Protocol on Biosafety – Article 2. Scope. Online: http://bch.cbd.int/protocol/nkl/article3/ [letzter Zugriff: 11.03.2020]
  13. World Health Organization on behalf of the Special Programme for Research and Training in Tropical Diseases 2014 (2014). Guidance Framework for Testing of Genetically Modified Mosquitoes. Online: https://www.who.int/publications/i/item/9789240025233 [letzter Zugriff: 10.02.2022]
  14. United Nations (2017). The Biological Weapons Convention – An Introduction. Genf: United Nations Publication. Online: https://www.un.org/disarmament/biological-weapons/ [letzter Zugriff: 09.02.2022]
  15. United Nations (1996). Report of the Committee of the whole. BWC/CONF.IV/6. 4th Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition, the Development, Production and Stockpiling of bacteriological (biological) and toxin Weapons and on their Destruction; 1996 Nov 25 – Dec 6; Genf, Schweiz. Online: https://www.unog.ch/bwcdocuments/1996-11-4RC/BWC_CONF.IV_06.pdf [letzter Zugriff: 22.10.2020]
  16. Jeremias G (2019). Governing the Conflict Potential of Novel Environmental Biotechnologies (NEBs). BWC Meeting of State Parties; 2019 Dec 3. Online: https://www.unog.ch/80256EDD006B8954/(httpAssets)/FABC68A345728CFFC12584C7006218F4/$file/Conflict+potentials+from+Gene+Drives2.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2020]