Unsere politischen Empfehlungen

Bisher existiert keine für Gene Drives spezifische internationale Vereinbarung zur Regulierung der Erforschung und Freisetzung von Gene Drive Organismen. Ebenso wenig existieren spezifische nationale oder supranationale Gesetze. Dennoch hat Target Malaria erste Freisetzungsversuche mit Gene Drive Mücken für das Jahr 2024 angekündigt. Es fehlen bisher jedoch nicht nur Gesetze, sondern selbst adäquate, wissenschaftlich begründete Konzepte und Methoden für Abschätzung, Bewertung und Management der Risiken sowie für das Monitoring in der Umwelt. Nicht einmal ein zentrales Register aller derzeit durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Zusammenhang mit Gene Drives gibt es bisher. Auch für eine Technikfolgenabschätzung, die über die reine Risikobetrachtung hinausgeht fehlen bisher Konzepte und Grundlagen. Eine gesellschaftliche Diskussion darüber, unter welchen Umständen die Freisetzung eines GDO möglicherweise vertretbar, ja ethisch geboten sein könnte, hat weder auf nationalen, noch auf internationalen Ebenen ernsthaft begonnen.

Vor diesem Hintergrund scheint das Gebot der Stunde zunächst einmal zu sein, dass sich die Weltgemeinschaft genügend Zeit nimmt, um sich mit dieser neuen, globalen Herausforderung auseinanderzusetzen. Dies ist die Voraussetzung dafür, ein gemeinsames, bei den Vereinten Nationen angesiedeltes Konzept zum Umgang mit Gene Drives zu entwickeln, das die ökologischen, medizinischen, ethischen, kulturellen, wissenschaftlichen und völkerrechtlichen Grundfragen, die hier berührt sind, verbindlich regelt.

Save Our Seeds empfiehlt:

Die Europäische Union sollte sich auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) Mitte 2022 für ein globales Moratorium jeglicher Freisetzungen von GDO einsetzen. Bereits zuvor sollte sie klarstellen, dass derartige Freisetzungen innerhalb der Europäischen Union nach gegenwärtiger Rechtslage verboten sind und dass sie gegen jede Freisetzung, die aktuell oder längerfristig das Territorium der Union erreichen könnte, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln vorgehen wird.

Alle folgenden Punkte sind aus Sicht von Save Our Seeds wesentliche Voraussetzungen dafür, sich über eine von Fall zu Fall zu prüfende Aufhebung des weltweiten Moratoriums zu verständigen. Es liegt freilich im Wesen eines ergebnisoffenen, alle Beteiligten einbeziehenden Verständigungsprozesses, dass solche Kriterien sich im Laufe der Diskussion verändern können. Ob dieses Moratorium in ein dauerhaftes und generelles Verbot umgewandelt werden sollte oder aber in begründeten Einzelfällen die Freisetzung von Gene Drive Organismen gerechtfertigt oder sogar geboten ist, hängt ebenfalls von den zu entwickelnden Kriterien ab.

Weil sich bereits einzelne, unbeabsichtigt freigesetzte GDO zeitlich wie territorial unkontrollierbar ausbreiten könnten, sind den jeweiligen Organismen angepasste, hohe Sicherheitsstandards im Umgang mit GDO auch im Labor von globaler Bedeutung und Dringlichkeit. Eine wesentliche Voraussetzung für adäquate Sicherheitsmaßnahmen, aber auch für die weitere Diskussion ist ein zentrales Register aller Gene Drive Forschung und damit zusammenhängender Freilandversuche, die eine präzise Beschreibung der Organismen, der Gene Drive Konstrukte und der damit verfolgten Ziele beinhalten sollte.

Die Herausforderungen an eine Risikoanalyse und -bewertung sind mangels zeitlicher wie räumlicher Begrenzung der Freisetzung von GDO mit bisherigen Konzepten und Methoden der Risikobewertung gentechnisch veränderter Organismen nicht zu bewältigen. Bevor eine Freisetzung von GDO in Betracht gezogen wird, müssen zunächst international abgestimmte Verfahren und Leitlinien dafür entwickelt werden, wie die von GDO ausgehenden Umweltrisiken einheitlich erfasst und bewertet werden sollen. Weiterhin müssten Monitoring- und Identifizierungsverfahren etabliert werden, mit denen die Ausbreitung und das Verhalten der GDO in den verschiedenen Ökosystemen dokumentiert und verfolgt werden kann. Die internationale Staatengemeinschaft sollte sich in diesem Kontext dazu verpflichten, Notfallpläne zu entwickeln und vorzuhalten.

Eine umfassende, vorausschauende Technikfolgenabschätzung unter Einbeziehung aller möglicherweise betroffenen Staaten sowie indigener Völker und lokalen Gemeinschaften sollte jenseits der rein wissenschaftlichen Untersuchung ökologischer und gesundheitlicher Aspekte die Grundlagen dafür schaffen, ethische, soziale und andere gesellschaftliche Fragen und Herausforderungen und hierfür angemessene Entscheidungsprozesse zu diskutieren. Hierzu gehören u.a. die Bewertung der Ziele sowie die Frage, ob diese auch mit anderen Mitteln erreichbar sind und welche Kosten und Nutzen sich dabei jeweils für welche Gruppen gegenüberstehen.

Aufgrund des internationalen Charakters der möglichen Konsequenzen der Freisetzung von GDO bedarf es zu deren Genehmigung auch internationaler Standards und Verfahren. Entscheidend hierfür ist die Einbeziehung und gleichberechtigte Beteiligung aller potentiell Betroffener. Dies bezieht sich zunächst auf Staaten, darüber hinaus aber auch speziell auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften im Sinne der UN Erklärung 61/295 der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker sowie der Erklärung 73/165 über die Rechte von Kleinbauern und anderen auf dem Lande Arbeitender. Die Grundlage solcher Entscheidungen müssen mindestens die Prinzipien der freien, informierten, vorherigen Zustimmung (free prior informed consent) sein.

Voraussetzung für jede Freisetzung von GDO sollte eine hinlänglich verifizierte Methode zur ihrer Entfernung aus der Natur sein. Zusätzlich sollte eine zeitliche oder räumliche Kontrollierbarkeit und damit eine Begrenzbarkeit ihrer Wirkung und Ausbreitung sichergestellt sein.

Sowohl während der Geltung eines globalen Moratoriums auf die Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Natur als auch für den Fall einer begründeten Aufhebung eines Moratoriums sollte es spezifische und international verbindliche Haftungs- und Entschädigungsregeln geben, auch um unbeabsichtigte oder illegale Freisetzungen von Gene Drive Organismen und daraus resultierende Schäden adressieren zu können.

Zusätzlich zu dem ohnehin bestehenden Verbot des Einsatzes biologischer Waffen durch die UN-Biowaffenkonvention sollte Voraussetzung für die Forschung an Gene Drives der Nachweis sein, dass die dabei entwickelten GDO kein (dual use) Potential haben, als Waffe missbraucht zu werden.

Das Vorsorgeprinzip, wie es in der EU-Richtlinie 2001/18 verankert ist, kann nur funktionieren, wenn in Fällen, in denen dies notwendig erscheint, auch tatsächlich effektive Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und menschlichen Gesundheit ergriffen werden können. Die Rückholbarkeit (zeitliche und räumliche Kontrollierbarkeit) ist dafür eine entscheidende Voraussetzung. Wenn im Zuge einer Umweltrisikoprüfung von Gene Drive Organismen festgestellt wird, dass diese Rückholbarkeit nicht gewährleistet ist, sollte dies zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips als Ausschlusskriterium für eine Zulassung des GDO gelten. Die Risikoprüfung sollte dann abgebrochen und jegliche Freisetzung des Gene Drive Organismus untersagt werden.

Mehr dazu