IUCN: Die Diskussion um Gene Drives

Die Diskussion um Gene Drives in der Weltnaturschutzunion (IUCN)

Angesichts der Möglichkeit, eingeschleppte invasive Arten mittels Gene Drive aus empfindlichen Ökosystemen zu entfernen, diskutiert auch die International Union for Conservation of Nature (IUCN), auch Weltnaturschutzunion genannt, seit Ende 2015 über den Umgang mit dieser Technologie.

Bei ihrer Mitgliederversammlung im September 2016 auf Hawaii verabschiedete die IUCN eine Resolution¹, mit der sie sich unter anderem selbst den Auftrag erteilte, einen wissenschaftlichen Bericht zu den Auswirkungen der synthetischen Biologie und Gene Drives für den Schutz der Biodiversität zu erstellen. Auf Grundlage dieses wissenschaftlichen Berichts wollte die IUCN ursprünglich bei ihrer darauf folgenden Mitgliederversammlung im Jahr 2020 eine Position zur Rolle der Gene Drive Technologie für den Naturschutz beziehen.
Unter anderem durch öffentlichen Protest und auf Hinwirken von Koryphäen des weltweiten Natur- und Artenschutzes² verpflichtete sich die IUCN in ihrer Resolution aus dem Jahr 2016 darauf, bis zum Vorliegen dieses Berichts von jeglicher Unterstützung oder Befürwortung von Forschung, Feldversuchen oder Nutzung der Gene Drive Technologie abzusehen.

Der Bericht mit dem Titel Genetic frontiers for conservation³ wurde im Mai 2019 veröffentlicht und traf sowohl aufseiten von IUCN Mitgliedsorganisationen als auch aufseiten von Naturschutz- und Entwicklungsorganisationen aus aller Welt auf harsche Kritik.

Eine von der kanadischen Nichtregierungsorganisation ETC Group durchgeführte Analyse⁴ kam zu dem Schluss, dass eine Mehrzahl der Autor*innen des Berichts bekannte Befürworter*innen der Gentechnik seien und zum Teil aufgrund ihrer wirtschaftlichen Eigeninteressen an der Entwicklung der untersuchten Technologien nicht von der IUCN hätten engagiert werden dürfen. In einem daraufhin von 231 zivilgesellschaftlichen Organisationen und mehreren Wissenschaftler*innen unterzeichneten offenen Brief wurde der Bericht als „bedauerlicherweise einseitig“, „voreingenommen“ und „ungeeignet für die vorgesehene politische Diskussion“ kritisiert. Dieser Bericht stehe nicht im Einklang mit den Vorsorgeerwägungen der Resolution von Hawaii. Die unterzeichnenden Organisationen forderten die IUCN deshalb dazu auf, einen weiteren wissenschaftlichen Bericht auf Basis einer vorsorgeorientierten Analyse der Risiken der Technologie in Auftrag zu geben und mit einer Beschlussfassung zum Thema bis zum Vorliegen eines solchen Gegenberichts zu warten.⁵

In eine ähnliche Richtung ging die Forderung eines Briefes von 23 IUCN Mitgliedern vom Oktober 2019 an den IUCN Council. Es brauche mehr Zeit für eine grundlegende, umfassende, ausgewogene Diskussion auf Grundlage des Vorsorgeprinzips mit größerer Einbindung von IUCN Mitgliedern vor einer Beschlussfassung der IUCN.⁶

Konfrontiert mit dieser Kritik zog der IUCN Council seinen Plan zurück, bereits bei seinem ursprünglich im Juni 2020 geplanten Mitgliederprozess eine Position beschließen zu wollen. Stattdessen wurden in einer mitgliederoffenen Konsultation Prinzipien⁷ für die Diskussion rund um das Thema festgelegt. Diese sollen beim IUCN Weltnaturschutzkongress im Jahr 2021 abgestimmt werden und als Grundlage für eine Positionsfindung zum Thema bis zum darauffolgenden Mitgliederkongress dienen.

 

 


[1] IUCN Library System Website (2016). IUCN, International Union for Conservation of Nature Resolution; c2020. WCC-2016-Res-086 – Development of IUCN policy on biodiversity conservation and synthetic biology. World Conservation Congress; 2016; Hawaii. Online: https://portals.iucn.org/library/sites/library/files/resrecfiles/WCC_2016_RES_086_EN.pdf
[letzter Zugriff: 07.12.2020]
[2]  SynBioWatch Website (2016). A Call for Conservation with a Conscience. No Place for Gene Drives in Conservation. Online:
http://www.synbiowatch.org/wp-content/uploads/2016/09/letter_vs_genedrives.pdf [letzter Zugriff: 07.12.2020]
[3] Redford KH, Brooks TM, Macfarlane NBW, Adams JS (2019). Genetic frontiers for conservation: an assessment of synthetic
biology and biodiversity conservation: technical assessment. IUCN Publication. Online: https://portals.iucn.org/library/node/48408
[letzter Zugriff: 07.12.2020]
[4] ETC Group Website (2019). ETC Group. Driving Under The Influence? A review of the evidence for bias and conflict of interest in the IUCN report on synthetic biology and gene drive organisms. Online: https://www.etcgroup.org/sites/www.etcgroup.org/files/files/etc-iucn-driving_under_influence.pdf [letzter Zugriff: 07.12.2020]
[5] GeneWatch UK Website (2019). GeneWatch UK. Open letter to the IUCN regarding the report Genetic Frontiers for Conservation. Online: http://www.genewatch.org/uploads/f03c6d66a9b354535738483c1c3d49e4/IUCN_let_16July2019.pdf
[letzter Zugriff: 07.12.2020]
[6] Institute for Nature Conservation in Albania Website (2019). Instituti për Ruajtjen e Natyrës në Shqipëri. Open Letter by the undersigned IUCN Members to the IUCN Council. Online: https://inca-al.org/sq/postimet/njoftime/open-letter-by-the-undersigned-iucn-members-to-the-iucn-council [letzter Zugriff: 23.03.2021]
[7] IUCN Congress 2020 Website (2020). IUCN; c2020. 075 – IUCN Principles on Synthetic Biology and Biodiversity Conservation. Online: https://www.iucncongress2020.org/motion/075 [letzter Zugriff: 07.12.2020]


Biodiversitätskonvention versagt bei Regulierung neuer Gentechnik

Bei der Konferenz der UN-Biodiversitätskonvention zum Schutz der biologischen Vielfalt haben sich 196 Nationen am 29.11.2018 leider nur auf den denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner bezüglich der Erforschung und Freisetzung von sogenannten Gene Drive Organismen geeinigt. Statt klarer Vorsorge und globaler Kontrolle finden sich in der gemeinsamen Erklärung nur weit interpretierbare, allgemeine Appelle an die Regierungen.

„Damit hat sich das millionenschwere Lobbying der Bill & Melinda Gates Foundation sowie der Interessensvertretungen der Gentechnik weitgehend durchgesetzt“ kritisiert Mareike Imken von Save Our Seeds. „Dieser Beschluss muss der Beginn einer globalen Kampagne für ein Moratorium bei dieser Hochrisikotechnologie werden.“

Anstatt ein Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive Organismen zu beschließen, wie dies über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen und einige Regierungen gefordert hatten, erschöpft sich der nun verabschiedete Beschluss in einem fast beliebig interpretierbaren Appell zur Vorsorge bezüglich der Freisetzung von Gene Drives in die Umwelt. Regierungen und Wissenschaftler*innen bietet er die Möglichkeit, Forschung und Freisetzungen nach eigener Definition der Angemessenheit von Vorsorgemaßnahmen, Risikobewertung und der Einbindung lokaler und indigener Gruppen zu gestalten.

Damit hat das einzige internationale Forum zur Regulierung globaler Gefahren für die Biodiversität und des grenzüberschreitenden Umgangs mit gentechnisch veränderten Organismen eklatant versagt bei der Regulierung des bisher gefährlichsten Einsatzes von Gentechnik in der Umwelt. Die von der CBD geforderte Berücksichtigung und Einbindung „möglicherweise betroffener“ lokaler und indigener Gemeinschaften ist zwar zu begrüßen. Doch die nur für diese Gruppen geforderte vorherige Zustimmung nach Inkenntnissetzung (prior informed consent) müsste zuerst für alle betroffenen Nationen verbindlich vorgeschrieben werden.

Gene Drive Organismen enthalten die Programmierung für eine gentechnische Veränderung, die sie an alle Nachfahren weitergeben, um so eine gentechnische Kettenreaktion in der Umwelt in Gang zu setzen. Diese kennt bisher keine räumliche oder zeitliche Beschränkung und Kontrolle. Sich global ausbreitenden Gene Drive Organismen betreffen deshalb grundsätzlich die gesamte Menschheit. Deshalb erfordert der Einsatz dieser Technologie in der Natur einen Konsens der Weltgemeinschaft.

Save Our Seeds nimmt den Beschluss der CBD zum Anlass für den Start einer Kampagne mit dem Ziel, ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives bei der nächsten Konferenz der CBD 2020 in Peking verbindlich zu verankern.

Link zum Beschluss der CBD:

https://www.cbd.int/doc/c/2c62/5569/004e9c7a6b2a00641c3af0eb/cop-14-l-31-en.pdf


Weltweites Moratorium für "Gene Drives" gefordert

"Gene Drives" könnten die Welt verändern. Wenn das, was derzeit in verschiedenen Gentechniklabors der Welt entwickelt und erprobt wird, tatsächlich funktioniert, könnten mit dieser Technologie in kurzer Zeit Organismen geschaffen werden, die gentechnisch so manipuliert sind, dass sie ihre gesamte Art verändern können, oder auch ausrotten. Zusammen mit 200 Erstunterzeichnern fordert Save Our Seeds ein Moratorium für diese Technologie.

Eine gespenstische, neue Form von Gentechnik: Nicht einzelne Sorten werden hier verändert und dann möglichst daran gehindert, ihre gentechnischen Eigenschaften an natürliche Verwandte weiterzugeben, sondern gesamte Populationen in der Natur werden zum Gegenstand der gentechnischen Veränderung. Gene Drive Organismen sollen ihre neuen Eigenschaften zu 100 Prozent weitervererben, einschließlich eines gentechnischen Suchmechanismus, mit dessen Hilfe, auch das Genom der Folgegenerationen entsprechend manipuliert wird.

Wir meinen, dem muss ein Riegel vorgeschoben werden bevor es zu spät ist und haben deshalb am Welternährungstag zusammen mit der ETC Group, der Heinrich-Böll-Stiftung und über 200 weiteren Erstunterzeichner*innen einen internationalen Appell für ein Gene-Drive-Moratorium veröffentlicht, in Berlin und Rom.

Gemeinsame Presseerklärung auf Deutsch

Der Appell auf Englisch

Studie der ETC Group zu Gene Drives in der Landwirtschaft