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Welt-Malaria-Tag 2023 und die Gene Drives - Enttäuschung

Welt-Malaria-Tag 2023 und die Gene Drives – Enttäuschung

Anlässlich des Welt Malaria Tages, der jedes Jahr am 25. April stattfindet, lädt die Stop Gene Drives Kampagne dazu ein, einen genaueren Blick auf die Botschaften derer zu werfen, die zu diesem Thema arbeiten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet daran, die weltweite Malariabelastung bis zum Jahr 2030 um neunzig Prozent zu reduzieren (im Vergleich zu einer Ausgangsbasis von 2015). Angesichts des Wettlaufs gegen die Zeit, unvorhergesehener Hindernisse und vielfältiger Interessen gab es in den letzten Jahren Rückschläge bei der Malariabekämpfung.

Insbesondere während der Covid-19-Pandemie stellten Unterbrechungen der Gesundheitsdienstleistungen, verlagerte Ressourcen und ein eingeschränkter Zugang zu den betroffenen Gemeinschaften konkrete Hindernisse auf dem Weg zum Ziel für 2030 dar.

Mit dem Ziel, solche Hindernisse zu überwinden und den Prozess zu beschleunigen, stand der Weltmalariatag 2023 unter dem Motto „Zeit für Null Malaria: investieren, innovieren, umsetzen„. In den sozialen Medien und im Internet wurde dieser Slogan geschickt genutzt, um die Biotechnologie (insbesondere Gene Drives) als den Gipfel der Innovation in der Malariabekämpfung darzustellen.

Wir laden Sie ein, sich einige Beispiele anzuschauen und gemeinsam mit uns die Geschichten dahinter zu entdecken.

Eine neue Art von Berühmtheiten

Target Malaria, ein umstrittenes Forschungskonsortium, das vom US-Militär finanziert wird (DARPA), nutzte die Gelegenheit, um sein Narrativ von „Innovation gleich Lösung“ zu untermauern.

In ihrer Erzählung sind die Wissenschaftler:innen das Äquivalent zu Rockstars, die mit ihren neuesten Kreationen die Welt vor Malaria retten sollen. Sie beharren darauf, dass dringende Innovationen (d. h. neue Gentechnologien, insbesondere Gene Drives zur Ausrottung von Moskitos) angesichts der kritischen Situation das einzig brauchbare Mittel sind. Dieses Szenario scheint ihrer Ansicht nach in einem Vakuum zu existieren, in dem die Risiken minimal sind und die negativen Folgen nicht berücksichtigt werden. Andere Organisationen folgten einem ähnlichen Rezept, indem sie „Wissenschaft und Innovation“ als die (einzigen) Instrumente darstellten, die die Malariabekämpfung wieder in Gang bringen können. (Siehe Beispiele hier, hier und hier)

Dieser Tunnelblick ist gefährlich und trügerisch. Abgesehen von der Verbreitung von Fehlinformationen können Bemühungen, die unter dem Druck stehen, sofortige Ergebnisse zu erzielen und sich zu finanziell zu lohnen, leicht Risiken übersehen, fehlerhafte Ergebnisse liefern und Probleme nur oberflächlich angehen. Darüber hinaus wird dadurch die falsche Vorstellung erzeugt, dass eine endgültige Lösung in der Malariabekämpfung gefunden wurde – was nicht der Fall ist.

Kein Pflaster kann eine tiefe Wunde heilen

Malariabekämpfung ist ein komplexes Anliegen, welches strukturelle und langfristige Lösungen erfordert. Das Drängen auf den Einsatz von Technologien (wie Gene Drives) ignoriert sowohl ökologische Risiken als auch kontextbezogene Herausforderungen.

Anlässlich des Welt-Malaria-Tags 2023 haben mehrere Organisationen und Akteur:innen darauf hingewiesen, warum es wichtig ist, bei der Malariabekämpfung über den oberflächlichen, technischen Aspekt hinauszublicken.

Die am häufigsten geäußerten Bedenken unterstrichen die Notwendigkeit, auch die sozioökonomischen und infrastrukturellen Faktoren zu bekämpfen, die das Auftreten von Malaria begünstigen. Dazu gehören Armut, geschlechterspezifische und andere Ungleichheiten, unzureichende Wasser-, Sanitär- und Hygieneinfrastruktur sowie mangelnder Zugang zu Bildung und der Gesundheitsversorgung.

Einige argumentieren, dass jeder Malariafall vermeid- und abwendbar ist, und fordern führende Politiker:innen weltweit auf, mehr Mittel bereizustellen und Maßnahmen zu ergreifen. Sie befürworten verschiedene Methoden wie verbesserte Moskitonetze, Impfstoffe, monoklonale Antikörper und Moskitozuckerköder. Sie plädieren für einen ganzheitlichen Ansatz, der den Gemeinden die notwendigen Mittel an die Hand gibt und die Ursachen bekämpft. (Siehe Beispiele hier, hier und hier)

Was gibt es noch aufzudecken?

Unter denjenigen, die in der Malariabekämpfung aktiv sind, scheint es einen Konsens darüber zu geben, dass sich die Fortschritte auf dem Weg zu einer drastischen Reduzierung bis 2030 verzögern. In diesem Zusammenhang übersehen Stimmen, die für überstürzte „Innovationen“ und neue Technologien als Lösung plädieren, oft die Risiken und potenziellen irreversiblen Auswirkungen.

Das Auftreten neuer Herausforderungen, wie die Entdeckung eines neuen Malariavektors in Afrika südlich der Sahara, macht deutlich, wie wichtig es ist, sorgfältig zu prüfen, ob technologische Lösungen bald überholt sein könnten. Darüber hinaus muss man sich der unzähligen Kaskadeneffekte bewusst sein, die der Einsatz einer unvorhersehbaren und irreversiblen Technologie für die Ökosysteme und die menschliche Gesundheit haben könnte.

Forschung zur Malaria-Ausrottung sollte mit Vorsicht und Verantwortungsbewusstsein betrieben werden und auf seriösen und genauen wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen beruhen. Darüber hinaus sollte sie mehrere Lösungen und Alternativen (z. B. Netze, Malariamedikamente, Impfstoffe usw.) untersuchen und nicht losgelöst von ihrem Kontext existieren. Alle Bemühungen die Belastung durch Malaria zu verringern müssen die zugrundeliegenden sozioökonomischen und infrastrukturellen Faktoren, die zur Verbreitung von Malaria beitragen, berücksichtigen und angehen.

Schließlich kann es hilfreich sein, die Erzählungen und Geschichten, die zu diesem Thema kommuniziert werden, aufzuschlüsseln, um versteckte Absichten aufzudecken und Schwachstellen bei der Bewertung von Instrumenten und Methoden zur Ausrottung von Malaria zu erkennen. Dies trägt hoffentlich zu einer angemesseneren und sachkundigeren Bewertung der Optionen und zu einer ausgewogenen und verantwortungsvollen Entscheidungsfindung im Kampf gegen Malaria bei.

Zum Weiterlesen und Schauen:

Erfahren Sie mehr über die Anwendungen und Risiken von Gene Drives im Zusammenhang mit der Ausrottung von Malaria.

Lesen Sie die Analyse des African Center for Biodiversity über die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Malaria.

Die beiden burkinabischen Aktivisten Ali Tapsoba und Guy Yameogo, erzählen in diesem Video, wie die Bevölkerung in ihrem Land zur Freisetzung von Gene Drives steht.

Hier finden Sie einige Interviews von Expert:innen die jeden Tag mit Malaria zu kämpfen haben.


Was geschah mit Gene Drives bei der COP15 der UN-Konvention über die biologische Vielfalt?

Was geschah mit Gene Drives bei der COP15 der UN-Konvention über die biologische Vielfalt?

Im Dezember 2022 versammelten sich Staaten aus aller Welt im verschneiten Montreal, um über den Schutz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt bis 2030 zu verhandeln. Was hatten sie über neue Technologien wie Gene Drives zu sagen?

Das Rahmenwerk zur Erhaltung der biologischen Vielfalt für die Zeit nach 2020 (Post-2020 Biodiversity Framework, GBF) wurde oft als „Durchbruch“ bezeichnet, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Doch die Diskussionen und Entscheidungen in Montreal zu synthetischer Biologie hinterließen bei vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie der Stop Gene Drives Kampagne, einen bitteren Nachgeschmack.

Biotechnologie-Giganten wie Brasilien und Argentinien verhandelten hartnäckig, um jegliche Erwähnung des Vorsorgeprinzips und der Risikobewertung aus allen Texten zu streichen. Stattdessen wurde beharrlich, wo immer es möglich war, das Dogma der „Innovation“ hineingeschrieben. Somit bleibt der Welt nach fünf Arbeitsgruppen (Open Ended Working Groups) im Laufe von drei Jahren und zwei Wochen COP15-Diskussionen ein Ziel 17 zur Biotechnologie, das nichts weiter tut, als die CBD-Konvention von 1992 zu zitieren. Zwei der Unterhändler an den Verhandlungstischen in Montreal witzelten darüber, dass sie in der Zeit geboren wurden und illustrierten damit wie sich die Welt der Biotechnologie seit 1992 weiterentwickelt hat. Leider scheint der neue Post-2020-Rahmen für die biologische Vielfalt nicht mit dieser Entwicklung Schritt zu halten.

In Montreal lief jedoch nicht alles schlecht. Neben der Verabschiedung des Post-2020 GBF gelang es der COP15, eine neue multidisziplinäre technische Ad-hoc-Expert:innengruppe für Horizon Scanning, Überwachung und Technologiebewertung der synthetischen Biologie anzuberaumen. „Fachleute aus einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen sowie interdisziplinäres und interkulturelles Fachwissen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften“ sollen in den Prozess einbezogen werden.

Ein weiterer erfreulicher Aspekt ist, dass die Resolution der COP14 zu Interessenkonflikten Anwendung finden wird, um die wissenschaftliche Integrität und Unabhängigkeit der Expert:innengruppen zu gewährleisten. Diese Resolution entstand nachdem die Gene Drives Files (= publik gemachte Dokumente, die aufzeigen, dass die Bill and Melinda Gates Foundation eine Public-Affairs-Firma aus der Agrarindustrie finanziert hat, um im Rahmen der CBD einen Expert:innenprozess verdeckt zu beeinflussen, damit GDOs nicht reguliert werden) enthüllt wurden. Dies ist ein Versuch, die Teilnahme von so genannten „unabhängigen“ Wissenschaftler:innen, die im Auftrag von Philanthropen und Milliardären handeln, in CBD-Expert:innengruppen einzuschränken.

Parallel zur COP15 wurde die elfte Konferenz der Vertragsstaaten des Cartagena-Protokolls (CP-MOP 10) abgehalten. Dieses Protokoll regelt Fragen der biologischen Sicherheit. Gene Drives stellen im Vergleich zu den „klassischen“ gentechnisch veränderten Organismen, die unter das Protokoll fallen, neue, unbekannte Herausforderungen dar. Dementsprechend wurde in Montreal eine technische Ad-hoc-Expert:innengruppe beauftragt zusätzliche Leitlinien für die Risikobewertung und das Management von Gene-Drive-Organismen zu erarbeiten.

Der Schwerpunkt dieser Gruppe wird auf Gene-Drive-Mücken liegen, da bei ihnen die Entwicklung von Gene-Drives bisher am weitesten fortgeschritten ist. Diese Leitfäden sind freiwilliger Natur, werden aber dazu beitragen, die Risikobewertung weltweit zu verbessern und hoffentlich offene Fragen, Bedenken und Herausforderungen in Bezug auf die Auswirkungen von Gene Drives auf die Umwelt aufdecken.

Was liegt vor uns?

Die nächsten ein bis zwei Jahre sind entscheidend für die (multidisziplinären) technischen Expert:innengruppen, die Biotechnologien wie Gene Drives untersuchen und an Leitlinien arbeiten. In der Zwischenzeit können Regierungen und ihre Institutionen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften sowie Organisationen der Zivilgesellschaft Informationen einreichen, die von den Expert:innengruppen berücksichtigt werden sollen. Diese Akteur:innen können sich auch direkt an Online-Foren beteiligen, um ihre Bedenken und offenen Fragen zur synthetischen Biologie und zu Gene Drives vorzubringen.

Auf der nächsten COP (16) in der Türkei werden die Staaten darüber diskutieren, ob der Prozess des Horizon Scanning und der Technologiebewertung fortgesetzt werden soll. Außerdem werden sie die Indikatoren vorstellen, mit denen die Fortschritte bei der Erreichung von Ziel 17 gemessen werden sollen. Wir sind gespannt, wie die „erfolgreiche“ Verwirklichung dieses Ziels gemessen wird und für welche Art von Maßnahmen die Regierungen eine Finanzierung erhalten können.

Kurz gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder könnte die UN CBD weiterhin Risikobewertungen für neue Technologien wie Gene Drives fordern, um alle Auswirkungen auf die biologische Vielfalt messen zu können; oder der Prozess wird abgekürzt, und es wäre keine Risikobewertung von Gene Drives mehr gewährleistet.

Wenn es um Gene Drives im Rahmen des Cartagena-Protokolls geht, hoffen wir, dass der Prozess wahrhaftig dazu beiträgt, die nationalen Regierungen besser für die Risikobewertung von Gene Drives zu rüsten.


Gene Drives könnten sich über Artgrenzen hinweg ausbreiten

Gene Drives könnten sich über Artgrenzen hinweg ausbreiten

Das Problem der Malaria in Afrika steht seit langem im Mittelpunkt der Diskussion über die Gene-Drive-Technologie. Federführend bei der Forschung ist Target Malaria, eine nicht gewinnorientierte Organisation, deren Ziel es ist, Malaria mit gentechnischen Mitteln zu beseitigen. Trotz der ersten Erfolge in ihren Laborstudien gibt es jedoch eklatante offene Fragen und Unbekannte im Zusammenhang mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Anopheles gambiae sensu strictu Moskitos in die Umwelt.

Ganz oben auf der Liste der Bedenken stehen die ökologischen Folgen. Das Risiko für ein ökologisches System ist beträchtlich, wenn es um die Ausrottung einer einzigen Art geht. Anopheles gambiae sensu strictu ist jedoch nur eine von mindestens neun Stechmückenarten des „Anopheles gambiae-Komplexes“ (bekannt als A. gambiae sensu lato, d. h. „im weiteren Sinne“), einer Familie von Mückenarten, die identisch aussehen und von denen bekannt ist, dass sie sich untereinander kreuzen und fortpflanzungsfähige Hybriden produzieren1. Dies hat sich bereits als problematisch für die Malariabekämpfung erwiesen, da es nachweislich zu einem Austausch von Mutationen führt, die das Überleben der Arten innerhalb des Komplexes fördern. So erwarb Anopheles arabiensis durch A. gambiae s.s. und A. coluzzi Gene, die es gegen trockene Bedingungen resistent machen, und A. coluzzi erwarb durch A. gambiae s.s. ein Gen für Insektizidresistenz2,3,4. Im Zusammenhang mit einem Gene Drive, der die Vererbung eines ausgewählten Gens an alle Nachkommen erzwingt, sind die Folgen des Genaustauschs zwischen den Arten noch besorgniserregender.

Das eigentliche Risiko entsteht, wenn man das Ziel-Gen des Gene Drives in Betracht zieht. Das Doppelgeschlechtsgen ist ein wesentliches Gen für die sexuelle Entwicklung, und die Störung dieses Gens führt dazu, dass sich die Weibchen zu intersexuellen, unfruchtbaren Erwachsenen entwickeln, die sich nicht fortpflanzen können5. Die Fortpflanzungsrate sinkt drastisch, und die Population bricht zusammen. Aufgrund seiner lebenswichtigen Bedeutung für das Überleben der Mücken wird das Gen als „hoch konserviert“ bezeichnet – das bedeutet, dass die natürliche Auslese einen starken Druck darauf ausübt, dass das Gen unverändert bleibt. Dies ist für die Entwicklung eines Gene Drives nützlich, da es bedeutet, dass sich weniger genetische „Resistenzen“ entwickeln und der Gene Drive sich mit größerer Wahrscheinlichkeit problemlos ausbreiten kann. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dieses Gen für die Entwicklung des Insekts so wichtig ist, dass seine Sequenz im gesamten Anopheles-Komplex (und sogar in allen Insekten, die jemals auf dieses Gen untersucht wurden) nahezu identisch ist, was die Ausbreitung zwischen verschiedenen Arten durch horizontalen Gentransfer zu einem weiteren Risiko macht6. Dieses identische genetische Ziel, zusammen mit der Tatsache der Kreuzung, bedeutet, dass es keine Barriere mehr gibt, die den Gene Drive daran hindert, sich potenziell auszubreiten und alle 9 Arten des A. gambiae-Komplexes in Afrika zu vernichten. Sechs der bedrohten Arten spielen entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle bei der Malariaübertragung – nur die drei Arten A. gambiae sensu strictu, A. coluzzi und A. arabiensis gelten als wichtige Malariaüberträger7,8.

Aus einer linearen, vereinfachten Perspektive der Malariabekämpfung könnte man argumentieren, dass dies vorteilhaft ist – warum sollte man es riskieren und die Möglichkeit offen lassen, dass andere Arten des A. gambiae-Komplexes die Rolle von A. gambiae s.s. bei der Übertragung von Malaria übernehmen könnten? Diese Sorge ist berechtigt, denn es ist schon mindestens einmal vorgekommen, dass ein Vektor durch einen anderen ersetzt wurde: Anopheles funestus wurde durch Anopheles rivolurum ersetzt, nachdem der Lebensraum im ländlichen Tansania mit Insektiziden besprüht worden war9. Aus ökologischer Sicht könnte die Eliminierung des gesamten A. gambiae-Artenkomplexes jedoch eine ökologische Katastrophe bedeuten. Eine kürzlich durchgeführte bahnbrechende Studie hat gezeigt, dass die Veränderung auch nur eines Gens in einer Pflanze, auf die Insekten angewiesen sind, die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens von Insekten erheblich erhöhen kann10. Wenn die Veränderung auch nur eines Gens negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben kann, stellt sich natürlich die Frage, was passiert, wenn 9 Arten ausgerottet werden.

Es gibt einen unglaublichen Forschungsrückstand über die ökologische Rolle von A. gambiae, und das Wenige, das es gibt, scheint hauptsächlich von Target Malaria selbst zu stammen. Um eine auch nur annähernd zufriedenstellende Risikobewertung für einen Gene Drive durchführen zu können, sollten weitere Recherchen die erste Priorität sein. Die wenigen Studien, die es gibt, zeigen jedoch eine wichtige ökologische Rolle der Moskitos; eine von Target Malaria veröffentlichte Studie zeigte, dass etwa 95 % der Larven des A. gambiae-Komplexes gefressen werden, bevor sie sich entwickeln11. Darüber hinaus zeigte eine neuere Studie, dass die Anzahl und Vielfalt von Vögeln und Libellen nach dem Einsatz eines biologischen Insektizids in Frankreich zurückging12. Auch die für das Ökosystem lebenswichtige Bestäubung ist gefährdet: Anopheles-Mücken sind nicht nur Beute für andere Insekten und Vögel, die Bestäuber sind, sondern brauchen auch Zucker zum Überleben. Die Mücken ernähren sich tatsächlich mehr vom Zucker im Nektar als von Blut. Dieses Verhalten kann auch eine direkte Rolle bei der Bestäubung spielen13.

Target Malaria hat vor kurzem den Schritt gemacht, die Ausbreitung ihres Gene Drives auf andere Stechmückenarten anzuerkennen14.  Das Hauptanliegen des Blogs und des Papiers scheint jedoch kaum mehr als ein Wortspiel und ein regulatorischer Schachzug in Bezug auf die Definition des „Zielorganismus“ zu sein, um die Risikobewertung weniger kompliziert zu gestalten. Fast unerwähnt blieb dabei das ökologische Risiko, die potenzielle ökologische Zerstörung, die sich aus der Freisetzung eines Gene Drives in einen “ durchlässigen “ Moskitoartenkomplex ergeben könnte.

Diese Frage muss von Entwickler:innen und Regulierungsbehörden ernst genommen werden. Malaria ist in der Tat ein ernstes Problem, aber das Risiko eines Zusammenbruchs der Umwelt für lokale Populationen, die unmittelbar auf ein gesundes, widerstandsfähiges Ökosystem angewiesen sind, könnte ebenso tödlich oder noch tödlicher sein. Da es jedoch unmöglich ist, Gene-Drive-Organismen vor ihrer offiziellen Freigabe in der freien Natur zu testen, könnte das Ausmaß dieses Risikos übersehen werden, bis es zu spät ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass jede Freisetzung zu einer ungehinderten Ausbreitung führen könnte, da eine “ gentechnische Kettenreaktion “ ausgelöst wird. Die derzeit vorgeschlagenen Methoden zur Rückholbarkeit von Gene Drives sind rein theoretisch, nicht erprobt und daher unzureichend, um die Situation im Bedarfsfall zu bewältigen.

Dieses Eingeständnis der wahrscheinlichen Ausbreitung des Gene Drives und des anschließenden Zusammenbruchs des A.-gambiae-Komplexes sollte zu ernsthaften Fragen darüber führen, ob dies ein sicherer, vernünftiger Weg im Kampf gegen Malaria ist. Dieses Risiko ist nur eines von vielen in der Entwicklung von Gene Drives und ein vernachlässigter Bereich der Forschung. Diese unbeantworteten Fragen haben uns und viele andere dazu veranlasst, ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives zu fordern, bis diese Risiken zufriedenstellend ausgeschlossen worden sind. Um mehr über unsere politischen Empfehlungen zu erfahren, klicken Sie hier.

1,6,14John B. Connolly, Jörg Romeis, Yann Devos, Debora C.M. Glandorf, Geoff Turner, Mamadou B. Coulibaly, Gene drive in species complexes: defining target organisms, Trends in Biotechnology, 2022

2Barrón MG, Paupy C, Rahola N, Akone-Ella O, Ngangue MF, Wilson-Bahun TA, Pombi M, Kengne P, Costantini C, Simard F, González J, Ayala D. A new species in the major malaria vector complex sheds light on reticulated species evolution. Sci Rep. 2019 Oct 14;9(1):14753. doi: 10.1038/s41598-019-49065-5. PMID: 31611571; PMCID: PMC6791875.

3Fontaine MC, et al. Extensive introgression in a malaria vector species complex revealed by phylogenomics. Science (New York, N.Y.) 2015;347:1258524. doi: 10.1126/science.1258524.

4Fouet C, Gray E, Besansky NJ, Costantini C. Adaptation to Aridity in the Malaria Mosquito Anopheles gambiae: Chromosomal Inversion Polymorphism and Body Size Influence Resistance to Desiccation. PLoS ONE. 2012;7:e34841. doi: 10.1371/journal.pone.0034841.

5Kyrou K, Hammond AM, Galizi R, Kranjc N, Burt A, Beaghton AK, Nolan T, Crisanti A. A CRISPR-Cas9 gene drive targeting doublesex causes complete population suppression in caged Anopheles gambiae mosquitoes. Nat Biotechnol. 2018 Dec;36(11):1062-1066. doi: 10.1038/nbt.4245. Epub 2018 Sep 24. PMID: 30247490; PMCID: PMC6871539.

7Anopheles gambiae (African malaria mosquito, Mosquito, Malaria mosquito, ANOGA) | BCH-ORGA-SCBD-260392 | Organism | Biosafety Clearing-House (Correct as of September, 2022)

8Sinka, M.E., Bangs, M.J., Manguin, S. et al. The dominant Anopheles vectors of human malaria in Africa, Europe and the Middle East: occurrence data, distribution maps and bionomic précis. Parasites Vectors 3, 117 (2010). https://doi.org/10.1186/1756-3305-3-117

9Gillies MT, Smith A (1960) Effect of a residual house-spraying campagn on species balance in the Anopheles funestus group: The replacement of Anopheles gambiae Giles with Anopheles rivulorum Leeson. Bull Entomol Res 51: 248–252.

10Barbour, M. A., Kliebenstein, D. J., & Bascompte, J. (2022). A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. Science376(6588), 70-73.

11Collins CM, Bonds JAS, Quinlan MM, Mumford JD (2019). Effects of the removal or reduction in density of the malaria mosquito, Anopheles gambiae s.l., on interacting predators and competitors in local ecosystems. Med Vet Entomol 33:1.

12Jakob C, Poulin B (2016). Indirect effects of mosquito control using Bti on dragonflies and damselflies (Odonata) in the Camargue. Insect Conservation and Biodiversity 9:161.

13Foster WA (1995). Mosquito sugar feeding and reproductive energetics. Annu Rev Entomol 40:443.


Menschen bei Petitionsübergabe auf grünem Gras.

300.000 EU- Bürger*innen appellieren an Umweltministerin Lemke: Gene Drives stoppen!

Pressemitteilung

Appell an Umweltministerin Lemke: fast 300.000 Bürger*innen sagen nein zu Gene Drives

Berlin, 31. Mai 2022. Mehr als 300.000 Bürger:innen der Europäischen Union fordern, die ersten Freiland-Experimente mit gentechnisch veränderten Gene-Drive-Organismen durch ein globales Moratorium zu unterbinden. Die in der europäischen „Stop Gene Drive“-Kampagne organisierten Verbände Save Our Seeds, die Aurelia Stiftung und das Umweltinstitut München haben heute in Berlin eine entsprechende Petition an Umweltministerin Steffi Lemke übergeben. Mit dem Gentechnikverfahren Gene Drive könnten zukünftig wildlebende Arten manipuliert oder sogar ganz ausgerottet werden – mit nicht absehbaren Folgen für die Ökosysteme.

Gene Drives werden mit Hilfe des neuen Gentechnikverfahrens CRISPR-Cas hergestellt. Sie können ganze Populationen von Tieren und Pflanzen in der Natur gentechnisch verändern oder auch ausrotten. Der sogenannte Gene Drive setzt Grundprinzipien der Evolution außer Kraft und erzwingt die Vererbung einer genetischen Eigenschaft an sämtliche Nachkommen. Damit wird eine gentechnische Kettenreaktion ausgelöst, die erst dann aufhört, wenn alle Individuen der betroffenen Tier- oder Pflanzenart diese gentechnische Veränderung in sich tragen - oder aber ausgerottet worden sind. Damit sollen zum Beispiel krankheitsübertragende Insekten, invasive Arten oder so genannte Ernteschädlinge in der industriellen Landwirtschaft bekämpft werden.

Getestet wurden Gene Drives bislang ausschließlich im Labor. Nun möchte das Forschungskonsortium ‚Target Malaria‘ im westafrikanischen Burkina Faso erstmals Gene Drives in die Natur freisetzen. Das Ziel: Eine Malaria übertragende Mückenart soll ausgerottet werden. Doch was vielversprechend klingt, birgt enorme Risiken: Einmal in die Natur freigesetzt, können Gene Drives weder zurückgeholt werden noch ihre weitere Entwicklung und Ausbreitung kontrolliert werden. Wenn sich Gene-Drive-Organismen ausbreiten, könnten sie das ohnehin rasende Artensterben noch weiter beschleunigen.

Bei der Übergabeaktion mit Umweltministerin Lemke auf dem Leipziger Platz in Berlin stellte eine Installation aus riesigen kippenden Dominosteinen anschaulich die Risiken dar, die das Gene-Drive-Verfahren birgt.

„Eine durch Gene Drive Organismen ausgelöste gentechnische Kettenreaktion könnte ganze Ökosysteme destabilisieren und im Extremfall kollabieren lassen. Jede Gene Drive Freisetzung - und sei es „nur“ zu Versuchszwecken - kann unabsehbare und irreversible Folgen für die durch Klima­wandel und Insektensterben geschwächten Bestäuber- und Nahrungsnetze haben. Wir brauchen dringend ein weltweites Gene Drive Moratorium!“

warnt Bernd Rodekohr, Projektleiter „Schützt die Biene vor Gentechnik“ bei der Aurelia Stiftung.

"Gene-Drive-Organismen kennen grundsätzlich keine Grenzen und können sich weltweit ausbreiten,“ sagt die Koordinatorin der Stop-Gene-Drive-Kampagne von SOS, Mareike Imken. „Bisher verfügt die Weltgemeinschaft weder über ausreichendes Wissen noch über verbindliche internationale Vereinbarungen, nach denen ein derart fundamentaler, unumkehrbarer Eingriff in die Natur geregelt werden kann.“

Der mögliche Einsatz von Gene Drives steht auf der Tagesordnung der 15. Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen zum Schutz der Artenvielfalt (UN CBD), die im Herbst in China geplant ist. Die Umweltminister*innen der EU legen ihre gemeinsame Position dazu im Juni fest.

Sophia Guttenberger vom Umweltinstitut München fordert: „Anstatt durch die gentechnische Veränderung wildlebender Arten russisches Roulette mit der Evolution zu spielen, müssen wir das bereits jetzt rasende Artensterben endlich stoppen, indem wir die Widerstandfähigkeit unserer Ökosysteme stärken und aufhören, sie überall auf der Erde zu zerstören.“

Umweltministerin Steffi Lemke sagte bei der Petitionsübergabe:

„Ich glaube, dass sich die Menschheit und auch die Wissenschaft mit Gene Drives überschätzen würde. Deshalb werde ich beim Ministerrat im Juni natürlich versuchen eine Position zu erreichen, die sich am europäischen Vorsorgeprinzip orientiert.“

Hintergrund:

Die Gene-Drive-Technologie nutzt gentechnische Methoden wie die ‚Genschere‘ CRISPR/Cas, um bestimmte Eigenschaften in wildlebende Tier- und Pflanzenpopulation einzuführen. Werden dabei Gene, die z.B. Fruchtbarkeit oder Geschlecht beeinflussen manipuliert, können ganze Populationen ausgerottet werden. Gene Drives könnten aber auch sogenannte landwirtschaftliche Schädlinge für chemische oder biologische Substanzen anfällig machen oder andere Eigenschaften verändern. Dazu wird sowohl die neue Eigenschaft als auch der gentechnische Mechanismus (CRISPR/Cas) weitervererbt. So setzt sich die gentechnische Manipulation selbstständig in der Natur fort. Diese „gentechnische Kettenreaktion“ bewirkt, dass sämtliche Nachkommen die gewünschte Eigenschaft erben, bis die gesamte Population oder Art gentechnisch verändert oder ausgerottet ist.

Seit 2018 wird die Regulierung von Gene Drives im Rahmen der UN Biodiversitätskonvention (UN CBD) kontrovers diskutiert. Auf der letzten Vertragsstaatenkonferenz in Sharm el Sheik wurden einige erste vorsorgeorientierte Bedingungen für eine Freisetzung empfohlen. Doch viele Fragen bleiben unbeantwortet – darunter vor allem, wie und von wem angesichts einer grenzüberschreitenden Ausbreitung und unvorhersehbarer ökologischer, gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Folgen die Entscheidung über eine Freisetzung von Gene Drive Organismen getroffen werden müsste. Die bestehenden Verfahren im Rahmen des international verbindlichen Cartagena-Protokolls der CBD über die biologische Sicherheit regeln bislang nur den beabsichtigten Transfer von gentechnisch veränderten Organismen (z.B. Saatgut) als Produkte über einzelnen Grenze hinweg. Gene-Drive-Organismen sind dagegen keine Produkte und verbreiten sich selbständig in allen Regionen, in denen der betroffene Organismus gegenwärtig oder zukünftig vorkommt. Insofern müssten alle potenziell betroffenen Länder im Voraus ihre Zustimmung zu einer Freisetzung geben. Aktuell stehen bei den Verhandlungen im Rahmen der UN Biodiversitätskonvention jedoch lediglich internationale Leitlinien zur Risikobewertung von Gene Drive Organismen und ein genereller Prozess zur Technikfolgenabschätzung von neuen biotechnologischen Verfahren auf der Tagesordnung. In dem geplanten neuen Rahmenabkommen zum Schutz der Biodiversität befasst sich dessen Ziel 17 mit der Abwendung von Biodiversitätsschäden aufgrund des Einsatzes von Biotechnologien.

Weitere Links:

Pressekontakt:

Mareike Imken
Koordinatorin der Stop Gene Drive Kampagne
Save our Seeds / Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand
E-Mail: imken@saveourseeds.org; Mobil: 0151-53112969 Web: www.stop-genedrives.de


Mosquito sitting on a yellow and white flower.

Welche Risiken sind wir bereit einzugehen, um Malaria (vielleicht) zu beenden?

Welche Risiken sind wir bereit einzugehen, um Malaria (vielleicht) zu beenden?

Nach einem enormen Rückgang der Malariafälle in den letzten zwei Jahrzehnten ist Malaria wieder auf dem Vormarsch. Im Jahr 2020 starben 677.000 Menschen an Malaria, darunter sind 80 % Kinder unter 5 Jahren. Malaria ist nicht nur tödlich, sondern verschlechtert auch die Lebensgrundlagen ganzer Familien, Gemeinschaften und Länder: Bauern, die ihr Saatgut nicht rechtzeitig aussäen können, Mütter, die ihre Erträge nicht auf den Märkten verkaufen können, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder Kinder, die nicht zur Schule gehen und von Bildung profitieren können – ein Teufelskreis der Armut. Einige Wissenschaftler:innen schlagen jetzt vor, dass eine neue Technologie namens Gene Drive einen Wendepunkt bei der Malariabekämpfung darstellen könnte.

Gene Drives – die Manipulation der DNA von Mücken, um ein Ausrottungs-Gen weiterzuvererben

Das Forschungskonsortium Target Malaria, das hauptsächlich von der Bill & Melinda Gates Foundation und dem Open Philanthropy Fund finanziert wird, entwickelt im Labor gentechnisch veränderte Stechmücken, die entweder alle Nachkommen männlich oder alle weiblichen Nachkommen unfruchtbar machen würden. Sie verwenden die Crispr-Cas-Methode, um ein System in die DNA einzupflanzen, das sich bei der Paarung der Mücken repliziert und dafür sorgt, dass sich dieses Gen in der wilden Mückenpopulation verbreitet. Während einige hoffen, dass dies die Wunderwaffe zur Unterdrückung von Mückenpopulationen und zur Unterbrechung des Übertragungszyklus sein könnte, wirft diese bislang ungetestete, risikoreiche Technologie grundlegende Fragen für die Menschheit auf: Wie weit sind wir bereit zu gehen, wie hoch dürfen die Risiken und Ungewissheiten sein, um eine Hypothese zu testen?

Die Risiken von Gene-Drive-Mücken

Die Risiken und Folgen der Gentechnik sind sehr schwer abzuschätzen, vor allem, wenn der Organismus in freier Wildbahn lebt und sich dort fortpflanztl. Denn Gene beeinflussen nicht nur die körperliche Gestalt von Tieren, sondern auch ihr Verhalten, ihre Interaktionen mit anderen Arten und die Art und Weise, wie Bakterien und Parasiten sie beeinflussen. Eine Unterdrückung bzw. Ausrottung von Genen hätte Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz und würde wahrscheinlich bedeuten, dass ihre ökologische Nische von einer anderen Art eingenommen wird und dass dem Plasmodium-Parasiten (welcher die Malaria verursacht) ein Wirt fehlt. Mit unbekannten Folgen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die  gentechnisch veränderten Gene von den Mücken durch „horizontalen Gentransfer“ an andere Arten weitergegeben werden und auch deren Populationen dezimieren. Wenn dies so genannte ‘wichtige Arten’ betreffen würde, könnten die Ökosysteme zusammenbrechen oder schwer geschädigt werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt der Forschung wissen die Wissenschaftler nicht, ob die Gene für den Menschen giftig sein könnten oder allergische Reaktionen hervorrufen. Außerdem könnte die zu erwartende Verhaltensänderung der Mücken zu vermehrten Stichen und einer verstärkten Übertragung von Malaria führen. Wenn Menschen Tiere essen, die sich vorher von gentechnisch veränderten Mücken ernährt haben, könnten sie auch unter sekundären toxischen Wirkungen und allergischen Reaktionen leiden. Und nicht zuletzt könnte, wenn die Anopheles-Gambiae-Mücke ausgerottet wird, eine andere Mücke ihren Platz einnehmen und die Belastung durch andere Krankheiten erhöhen.

Gentechnisch veränderte Stechmücken könnten – wie beim Menschen – giftig für die Viehbestände sein, neue Krankheiten übertragen oder sogar – kontraintuitiv – die Übertragung von Malaria verstärken.

Mückenlarven spielen in Gewässern eine wichtige Rolle. Gentechnisch veränderte Larven könnten giftig sein und sich negativ auf das Trinkwasser sowie die Flora und Fauna von Gewässern auswirken.

Da diese Technologie noch sehr neu ist, stehen Studien und Diskussionen über ihre Risiken und möglichen negativen Folgen sowie über die Art der erforderlichen globalen Governance und internationalen Regulierung natürlich noch ganz am Anfang. So wurden beispielsweise noch nicht einmal Leitfäden für die Risikobewertung von der Weltgemeinschaft in Auftrag gegeben. Hinzu kommt, dass eine Fülle wichtiger politischer, sozioökonomischer, kultureller und ethischer Fragen unbehandelt und unbeantwortet bleibt.  Wer sollte beispielsweise in den Entscheidungsprozess einbezogen werden und wer sollte vor einer Freisetzung konsultiert werden?  Würde es ausreichen, dass eine nationale Regierung, wie die burkinische Regierung, eine solche Freilassung genehmigt und die örtlichen Dorfvorsteher:innen ihre Zustimmung geben?  Wie müssten Entscheidungsprozesse gestaltet werden, um die international verankerten Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu wahren, sich gegen Projekte auszusprechen zu können, die sie und ihre Gebiete oder Lebensweise beeinträchtigen könnten? Wer wäre verantwortlich und wer müsste für Entschädigungen aufkommen, wenn die Gene Drive Mücken Grenzen überschreiten und negative Auswirkungen auf Ökosysteme oder die Landwirtschaft haben?

Gleichzeitig gibt es bereits Maßnahmen, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, Malaria in Ländern wie zuletzt China und El Salvador zu beenden. Diese beiden Länder sind seit 2021 offiziell von der WHO als malariafrei erklärt worden, und folgen auf Algerien und Argentinien im Jahr 2019.

Was waren bisher die erfolgreichsten Mittel zur Malariabekämpfung?

Untersuchungen zeigen, dass das wichtigste Instrument für den Rückgang der Malaria seit dem Jahr 2000 mit insektizid behandelte Bettnetze sind. Etwa 65 % der zwischen 2000 und 2015 erzielten Fortschritte sind auf den Einsatz dieser Netze zurückzuführen.

Schlechte Wasser- und Sanitärverhältnisse werden mit einer Reihe von Krankheiten in Verbindung gebracht, unter anderem mit dem Auftreten von Malaria. Eine bessere Abwasserentsorgung wäre ein ganzheitlicher Ansatz zur Bekämpfung von Malaria und gleichzeitig zur Bekämpfung von Durchfallerkrankungen und Infektionen der Atemwege, an denen jedes Jahr Millionen von Kindern sterben. Weitere Untersuchungen zeigen, dass gute sanitäre Einrichtungen und Wasserleitungen mit einem geringeren Auftreten von Malaria in der Bevölkerung verbunden sind. Dr. Sory, Epidemiologe und Berater im Bereich öffentliche Gesundheit, teilt diese Ansicht und glaubt, dass Abwassersysteme die Malariabelastung erheblich verringern würden.

Artemisinin, ein traditionelle Heilmittel gegen Malaria, wurde von der Nobelpreisträgerin Tu Youyou wiederentdeckt. Artemisinin ist ein Bestandteil der Artemisia-Pflanze. Medikamente gegen Malaria enthalten heute oft Artemisinin und können alle heute vorkommenden Malariaarten heilen. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass ein mit der Artemisia-Pflanze zubereiteter Tee präventive und heilende Wirkungen haben kann. Es scheint, dass eine andere Pflanze aus der Familie der Artemisia, Artemisia Afra, ähnliche Wirkungen haben könnte, ganz ohne Artemisinin zu enthalten. Lucile Cornet-Vernet und Arnaud Nouvion von der Maison de l’Artémisia erklärten in unserem Interview, es seien weitere klinische Studien erforderlich, um ein für alle Mal zu beweisen, dass diese Pflanzen wirken. Bislang fordert die WHO, die Pflanze nicht als Tee zu verwenden, um keine Resistenz gegen Artemisinin zu verursachen. Resistenzen gegen Artemisinin sind in Südostasien entdeckt worden, aber bisher nicht in Afrika. Lucile Cornet-Vernet weist darauf hin, dass die Pflanze in China seit etwa 2000 Jahren verwendet wird und dort noch keine Resistenzen entdeckt wurden. Außerdem enthält die Pflanze eine Vielzahl von Bestandteilen, die Malaria heilen könnte, so dass sie eine „Polytherapie“ darstellt. Der Zugang zu Ärzten und Ärztinnen, die Malaria diagnostizieren und das Medikament verschreiben, sowie die finanziellen Mittel, um sie sich leisten zu können, sind hier der limitierende Faktor. Aber auch der Zugang zu Saatgut oder Artemisia-Blättern, um sich selbst zu heilen, könnte nützlich sein, wenn klinische Studien durchgeführt werden können und kein Zusammenhang mit der Entstehung von Resistenzen hergestellt werden kann.

Es gibt eine Vielzahl von Mückenschutzmitteln, die den Menschen zwischen 3 bis 10 Stunden vor Mückenstichen schützen können. Da die meisten Mücken abends/nachts stechen, ist dieser Schutz sehr hilfreich, wenn man spät abends unterwegs ist. Viele von ihnen haben chemische Inhaltsstoffe, einige pflanzliche. Von denen mit pflanzlichen Wirkstoffen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und globale Gesundheit nur solche mit Zitroneneukalyptusöl und weist darauf hin, dass für die anderen pflanzlichen Abwehrsprays zu wenig Studien durchgeführt wurden. Dies könnte ein Weg sein, den es zu erforschen lohnt.

Eine frühzeitige Erkennung der Malaria hilft erstens den Menschen, so schnell wie möglich die benötigten Medikamente zu erhalten und die Auswirkungen der Krankheit so gering wie möglich zu halten. Zweitens trägt sie dazu bei, das Risiko eines lokalen Ausbruchs in einer Gemeinschaft zu verringern.

Warum gibt es dann immer noch Malaria auf der Welt?

Um Malaria zu bekämpfen, müssen alle oben genannten Maßnahmen ergriffen werden, von der Vorbeugung durch Netze und Mückensprays bis hin zum Zugang zu Schnelltests, um die Infektionskette zu unterbrechen, und zum Zugang zu Medikamenten, um Menschen innerhalb weniger Stunden nach dem Stich zu behandeln. Darüber hinaus ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der Stadtplanung, Bildung, Abwassersysteme und Zugang zu medizinischer Versorgung umfasst, um Malaria zu bekämpfen – wie auch viele andere Krankheiten, die Menschen in Armut gefangen halten und einen Teufelskreis schaffen.

Was fordert die Stop Gene Drives Kampagne?

In Anbetracht der enormen Bandbreite an bisher nicht erfassten Umwelt-, Gesundheits- und sozioökonomischer Gefahren, des wirtschaftlichen und politischen Konfliktpotenzials und einer Fülle sozialer, ethischer und kultureller Vorbehalte gegenüber dem Einsatz der Gene-Drive-Technologie in der Umwelt, fordert die Stop Gene Drive Kampagne ein weltweites Moratorium auf die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen. Das bedeutet, dass kein Gene-Drive-Organismus in die Umwelt freigesetzt werden sollte – auch nicht für Feldversuche – solange nicht eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Lesen Sie unsere politischen Empfehlungen hier.

In der Zwischenzeit empfehlen wir, die Finanzierungsmittel zur Bekämpfung der Malaria auf die Stärkung der lokalen Gesundheitssysteme, die Abwasserentsorgung und die Bildung zu konzentrieren, um den Kampf gegen Malaria zu einem übergreifenden Ansatz für die Bekämpfung von Armut und vernachlässigten Krankheiten im Allgemeinen zu machen.

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Weitere Ressourcen:

Lest mehr über potentielle Anwendungen von gene drives hier

Lest unsere  FAQ zu Gene Drives hier

Lest mehr zur Regulierung von Gene Drives hier

Lest unsere Interviews mit Expert:innen hier

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Quellen:

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UN Logo auf blauem Grund

Internationale Verhandlungen zu Gene Drives nehmen Fahrt auf

Die UN-Konvention über die biologische Vielfalt (UN CBD) und ihre Unterprotokolle sind die weltweit wichtigsten Foren zur Festlegung international verbindlicher Regelungen für die Gene-Drive-Technologie. Zum ersten Mal seit Beginn der COVID-Pandemie - nach mehr als zwei Jahren wiederholter Verschiebungen und Online-Sitzungen - trafen sich Regierungsvertreter:innen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaftler:innen und Wirtschaftslobbyisten wieder in Persona, um die internationalen Verhandlungen vom 14. bis 29. März 2022 in Genf (Schweiz) aufzunehmen.

Während der zweieinhalb wöchigen Konferenz wurde in drei verschiedenen Gremien eine Reihe von Themen diskutiert, die zuvor in mehreren Online-Sitzungen erörtert worden waren.

Im Mittelpunkt der Genfer Treffen standen die Verhandlungen über das so genannte Post-2020 Global Biodiversity Framework (GBF), mit dem der globale Biodiversitätsverlust bis 2050 durch ein ganzheitliches Paket von Zielen und Maßnahmen gebremst und umgekehrt werden soll. Diese Vereinbarung wird auf der 15. Tagung der Vertragsparteien (COP 15) der UN-Biodiversitätskonvention (CBD), die im August 2022 in Kunming, China, stattfinden soll, abgeschlossen und zur Abstimmung gestellt.

Globaler Rahmen für die biologische Vielfalt, Ziel 17 - Verhinderung von Schäden durch Biotechnologien

Im Hinblick auf die Regulierung von Biotechnologien wie Gene Drives waren die Diskussionen um Ziel 17 von besonderer Bedeutung. Mit diesem Ziel sollen Schutz-Maßnahmen für die biologische Vielfalt vor den Auswirkungen von Biotechnologien verstärkt werden. Die Stop Gene Drive Kampagne, als Teil der CBD Alliance - einem Zusammenschluss gleichgesinnter, zivilgesellschaftlicher Organisationen -  forderte die Einführung eines Prozesses zur Antizipierung, Überwachung und Regulierung neuartiger Biotechnologien, sodass negative Auswirkungen auf die Biodiversität vermieden werden können. Die CBD Alliance betonte in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit, die Rechte potenziell betroffener indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu wahren - insbesondere deren Recht, sich gegen den Einsatz von Biotechnologien auszusprechen, die sich negativ auf ihre Territorien und ihre Gewässer auswirken könnten. Im Ziel 17 sollte weiterhin festgelegt werden, auf welche Weise Schäden, die trotz Vorkehrungen entstehen, zu entschädigen sind.

Während CBD-Vertragsparteien wie Bolivien, Äthiopien und Mexiko die Aufnahme dieser Elemente in den Text forderten, versuchten andere Vertragsparteien, allen voran Brasilien, den Zweck dieses Ziels zu untergraben, indem sie einen Absatz über den potenziellen positiven Nutzen der Biotechnologien für die biologische Vielfalt einfügten. Während die CBD-Alliance dazu aufrief, ein breites Spektrum von Technologien im Rahmen dieses Ziels zu erfassen, versuchten einige Parteien durch spezifische Definitionen die Arten von Technologien, die überwacht werden sollten, einzuschränken. Dies ist der Textentwurf, der das Resultat dieser Diskussionsbeiträge auch aus vergangenen Treffen widerspiegelt.

SBSTTA - Tagesordnungspunkte 4 und 5: Bewertung der Gene-Drive-Technologie

Während die Diskussionen rund um das GBF hauptsächlich von einem Gremium namens "Open Ended Working Group" geführt wurden, fand in Genf auch die Sitzung eines beratenden Gremiums der CBD, dem "Subsidiary Body on Scientific, Technical Technological Advice" (SBSTTA) statt, welches allgemeine und langjährige Fragen im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt erörtert und Texte zur Annahme durch die COP vorbereitet. Einige davon sind im Hinblick auf die Regulierung der Gene Drive Technologie von besonderem Interesse:

SBSTTA  Punkt 4 befasst sich mit dem Thema der synthetischen Biologie, einem aufstrebenden Bereich der Biotechnologie, der darauf abzielt, neue lebende Organismen im Labor zu gestalten oder zu erschaffen, die in der Natur nicht vorkommen.

Der aktuelle Stand der Verhandlungen zu diesem Punkt spiegelt sich in Empfehlungsentwürfen zur synthetischen Biologie wider und ist das Ergebnis von Online-Verhandlungen, die im April und Mai 2021 stattfanden. Die Diskussionen konzentrierten sich auf die Einrichtung eines Prozesses im Rahmen der CBD, um neue technologische Entwicklungen im Bereich der synthetischen Biologie (wie Gene Drives) und ihre potenziellen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu antizipieren, zu überwachen und zu bewerten. Die Stop Gene Drive-Kampagne begrüßt die Einrichtung eines langfristigen Überwachungsprozesses und befürwortet die Bildung einer multidisziplinären technischen Expertengruppe (MTEG). Um die möglichen Auswirkungen dieser Technologien zu bewerten sollten dieser Gruppe Expert*innen aus vielen wissenschaftlichen Disziplinien angehören und die ein breites Spektrum an Wissenssystemen repräsentieren. Die Stop Gene Drive Kampagne betont, dass der von dieser Gruppe geleitete Bewertungsprozess sozioökonomische, kulturelle, ethische und gesundheitliche Fragen berücksichtigen muss. Die Stop Gene Drive Kampagne fordert außerdem, dass die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in die Natur das Vorsorgeprinzip umsetzen  muss und dass zu diesem Zweck weitere Bedingungen festgelegt und erfüllt werden müssen, bevor eine Freisetzung in die Umwelt überhaupt in Betracht gezogen werden sollte. Aus Zeitgründen wurde dieser Tagesordnungspunkt in Genf nicht diskutiert, sondern zur weiteren Erörterung auf der COP vertagt.

SBSTTA Punkt 5 befasst sich mit der Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen (lebenden, modifizierten Organismen, LMO). Dieser spezielle Bereich ist Gegenstand eines rechtsverbindlichen Unterprotokolls der Biodiversitätskonvention, des so genannten Cartagena-Protokolls, das nur von einem Teil der Vertragsparteien unterzeichnet wurde.

Der aktuelle Verhandlungsstand des Entwurfs der Empfehlungen zur Risikobewertung ist das Ergebnis virtueller Online-Verhandlungen, die im April und Mai 2021 stattfanden. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage, ob (zusätzliche) unverbindliche Leitfäden zur Umweltverträglichkeitsprüfung von Gene Drive Organismen erstellt werden sollen. Strittige Punkte bei der Diskussion darum waren der Umfang dieser Leitfäden und die Zusammensetzung der Redaktionsgruppe. Die Stop Gene Drive Kampagne begrüßt die Erstellung solcher Leitfäden. Sie sollten sich mit den spezifischen Risiken von Gene-Drive-Organismen im Allgemeinen befassen (im Gegensatz zu Leitlinien, die nur Gene-Drive-Mücken abdecken). Die Empfehlungen sollten von einer heterogenen und transdisziplinären Gruppe von Experten, einschließlich Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker, ausgearbeitet werden und das Vorsorgeprinzip umsetzen. Aus Zeitgründen wurde dieser Tagesordnungspunkt in Genf nicht diskutiert, sondern zur weiteren Erörterung auf der COP vertagt.

SBSTTA Punkt 6 befasst sich mit dem Thema invasiver (gebietsfremder) Arten, die als einer der drei Hauptgründe für den Verlust der biologischen Vielfalt gelten. Gene Drives werden von einigen zur Bekämpfung invasiver Arten ins Gespräch gebracht.

Während der Diskussionen zu diesem Tagesordnungspunkt in Genf wurden Gene Drives in den Empfehlungsentwurf zu invasiven Arten aufgenommen, der nun fordert, dass bei der Erwägung von Gene Drives zur Bekämpfung invasiver Arten das Vorsorgeprinzip angewandt werden sollte. Weitere Diskussionen zu diesem Thema werden bei der COP stattfinden.

Nächste Schritte

Die Tagesordnung in Genf war sehr eng gestrickt, dennoch konnten die Vertragsparteien ihre Diskussionen über die meisten Texte für das GBF nicht abschließen. Daher hat das CBD-Sekretariat angekündigt, weitere Sitzungen abzuhalten. Die 'Open Ended Working Group' (OEWG) wird daher vom 21. bis 26. Juni in Nairobi, Kenia, weiter über die Ziele (z.B. Ziel 17) des GBF diskutieren. Ein weiteres Treffen wird vom 29. Juni bis 1. Juli 2022 in Bonn für den 'Subsidiary Body on Implementation' (SBI) stattfinden, um Indikatoren zu diskutieren, mit denen überwacht werden kann, ob die neuen GBF-Ziele richtig umgesetzt werden.

Deutliche Fortschritte bei beiden Treffen werden entscheidend dafür sein, ob der GBF von allen Vertragsparteien auf der COP, die im August in Kunming stattfinden wird, angenommen werden kann.

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Links und Ressourcen


Weltnaturschutztag 2022

Weltnaturschutztag 2022

Der Taum oder Albtraum von gentechnisch veränderten Wildtieren.

Warum 100 deutsche Naturschutzorganisationen Position beziehen und dies weltweiter Nachahmung bedarf!

Die meisten Menschen in der EU – einschließlich der Zivilgesellschaft – lehnen die gentechnische Manipulation von Agrarpflanzen und GVO in Nahrungsmitteln ab, wissen aber nicht, dass sich der Umfang gentechnischer Projekte im letzten Jahrzehnt radikal verändert hat: Mit der Entwicklung von CRISPR/Cas wurden die Möglichkeiten der Gentechnik auf eine neue Ebene gehoben und die früher verwendeten „Genkanonen“, die z.B. die Entwicklung von Monsantos pestizidresistenten Mais ermöglichten, inzwischen völlig veraltet sind. Mit CRISPR können viel mehr Arten – und nicht nur domestizierte – auf sehr viel gezieltere und tiefgreifendere Weise gentechnisch verändert werden.

Gentechnologie im Naturschutz?

Beeindruckt von diesen neuen Möglichkeiten haben Molekularbiologen und sogar einige Naturschutzorganisationen begonnen, von der Gentechnik als Wunderwaffe für den Naturschutz zu träumen. Vor allem invasive Arten sind Gegenstand von Forschungsprojekten, die auf die Entwicklung so genannter Gene-Drive-Organismen abzielen.

Gene-Drive-Organismen – eine spezielle Anwendung der CRISPR/Cas-basierten Gentechnik – sorgen dafür, dass ein gentechnisch verändertes Merkmal zu 100 % an alle Nachkommen eines Organismus vererbt wird. Gene-Drive-Organismen sind so konzipiert, dass sie sich nach ihrer Freisetzung in die Natur mit ihren wilden Verwandten paaren und die genetische Veränderung zu einem vorherrschenden Merkmal in der wilden Population machen – über Generationen hinweg.

Einer der Hauptbefürworter des Einsatzes von Gene Drives zur Beseitigung invasiver Arten ist die Naturschutzorganisation Island Conservation. Sie ist seit langem damit beschäftigt, nicht einheimische invasive Raubtiere – vor allem Nagetiere, die eine Bedrohung für Vögel darstellen – von tropischen Inseln mit großer Artenvielfalt wie Hawaii und Galapagos zu entfernen. Bislang geschah dies mit konventionellen Methoden. Aber Island Conservation ist der Ansicht, dass weitergehende Maßnahmen, darunter Gene Drives erforderlich sind. Aus diesem Grund hat Island Conservation das Projekt Genetic Biocontrol of Invasive Rodents (GBIRd) ins Leben gerufen, das von sieben Universitäten und Nichtregierungsorganisationen aus den USA und Australien unterstützt wird, um den Gene-Drive-Ansatz und damit verbundene Fragen zu untersuchen.

Mäuse, Eichhörnchen, Frettchen, Wespen, Fruchtfliegen und Kröten gehören zu den invasiven Arten, die aus Ökosystemen entfernt werden sollen, in die sie eingedrungen sind und die sie schädigen. Gene-Drive-Entwickler wollen bestimmte Gene in den Keimzellen dieser Organismen, die zum Beispiel für das Geschlecht der Nachkommenschaft kodieren, einfach mit einem Gene-Drive versehen. Dies könnte bewirken, dass nur noch männliche oder weibliche Nachkommen geboren werden und die Population der lokal unerwünschten Arten im Laufe weniger Generationen zusammenbricht.

Die ersten Schritte zur Entwicklung eines Gene Drives in Mäusen wurden 2019 an der University of California in San Diego, USA, unternommen. Diese Forschung zeigte jedoch, dass CRISPR-Gene Drives bei Säugetieren noch nicht gut funktionieren.

Ist es sinnvoll, invasive Arten mit invasiven GVO zu bekämpfen?

In Queensland, Australien, hatten die Zuckerrohrbauern in der Vergangenheit große Probleme mit Käfern, die ihre Ernten zerstörten. Im Jahr 1935 wurden Rohrkröten (ursprünglich aus Südamerika) eingeführt, um die Käfer zu bekämpfen. Die Rohrkröten konnten die Käferpopulation erfolgreich unterdrücken, entwickelten sich aber selbst zu einer invasiven Art. Jetzt sind diese Kröten eine Plage und in ganz Australien verbreitet, da sie ihre Fressfeinde vergiften können. Die australische Forschungsbehörde (CSIRO) leitet Forschungsprojekte zur Ausrottung von Rohrkröten durch Genmanipulation. Aber wer kann sicher stellen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt?

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Roslin-Institut im Vereinigten Königreich, wo das invasive Grauhörnchen (vor 150 Jahren aus Nordamerika eingeführt) das einheimische rote Eichhörnchen zurückgedrängt hat und Bäume und Vogelnester zerstört. Die Idee hier ist ähnlich wie in Australien: Ein Gene Drive  könnte entweder die Nachkommenschaft unfruchtbar machen oder es würden nur Nachkommen eines Geschlechts geboren.

Wie Dave Goulson, Professor für Biologie an der Universität Sussex, anekdotisch feststellt:

„Früher haben wir rote Eichhörnchen als Schädlinge gegessen und verfolgt. Wir haben graue Eichhörnchen eingeführt, weil wir sie niedlich fanden. Dann breiteten sie sich aus, und die roten Eichhörnchen gingen zurück. Also änderten wir unsere Meinung und beschlossen, dass die roten Eichhörnchen jetzt niedlich sind und die grauen getötet werden sollten.

Wäre es also eine gute Idee, das graue Eichhörnchen durch einen Gene Drive zu eliminieren?  Hier ist eine andere Idee: Forscher haben herausgefunden, dass die Wiedereinführung von fast ausgestorbenen einheimischen Raubtieren wie dem Baummarder im Vereinigten Königreich zu einem Rückgang des grauen Eichhörnchens und einem Anstieg des roten Eichhörnchens führen würde.
Auf ein intaktes Ökosystem kommt es an!

Frühzeitige Warnungen: Gene Drives nicht für Naturschutzzwecke geeignet

Als Neuseeland ursprünglich in Erwägung zog, Gene Drives als Teil seines Preditor-Free-Programms einzubeziehen, um die Insel von invasiven Arten zu befreien, veröffentlichten zwei Gene Drive-Entwickler im Jahr 2017 einen Artikel, in dem sie vor einer solchen Entscheidung warnten.

Sie warnten davor, dass die einmal freigesetzten Gene-Drive-Organismen, z. B. Mäuse, mehrere Jahre auf der Insel überdauern könnten. Da nur wenige dieser Gene Drive-Mäuse benötigt würden, um eine ganze Population zu infizieren, könnten sie durch ihr langes Verbleiben auf der Insel auch Zeit finden, an andere Orte zu gelangen.

„Wenn wir etwas aus der Ausbreitung invasiver Arten gelernt haben, dann, dass Ökosysteme in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind und dass eine Handvoll Organismen, die in einem Land eingeführt werden, Auswirkungen weit über die eigenen Grenzen hinaus haben können.

Sie warnten auch, dass, selbst wenn es diesen Gene Driv-Mäusen nicht gelingen würde, das Land über Handelsschiffe oder Flugzeuge zu verlassen, die Erfahrungen auf dem Gebiet der biologischen Schädlingsbekämpfung darauf hindeuten, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie auch absichtlich außer Landes gebracht werden könnten. Nämlich dorthin,wo Mäuse für bestimmte Wirtschaftszweige große Schäden verursachen. Beispielsweise beliefen sich allein in den USA die Gesamtkosten der jährlichen Verluste durch Ratten auf 19 Milliarden US-Dollar.

Die beiden Autoren fügten außerdem hinzu, dass, da Gene-Drive-Organismen von vornherein invasiv sind, eine Handvoll Ratten, die von Inseln wie Neuseeland auf das Festland entkommen, ausreichen würde, um alle Rattenpopulationen auszulöschen, wodurch die Ökosysteme und die Artenvielfalt weltweit schwer geschädigt würden. Darüber hinaus, so die Autoren, sei bereits die Entwicklung von Gene-Drive-Organismen in Forschungslaboren gefährlich. Denn wenn in diesem Gebiet die Art wild vorkomme. Sei ein Entkommen der Labortiere ein ökologischer Ernstfall.

Der Weg nach vorn: Eine breitere Debatte und ein globales Moratorium sind notwendig! 

Angesichts der Idee, mit Hilfe von Gene Drives eingeschleppte invasive Arten aus sensiblen Ökosystemen zu entfernen, diskutiert auch die International Union for Conservation of Nature (IUCN) seit Ende 2015 über diese Technologie.

In ihrer Mitgliederversammlung auf dem Weltnaturschutzkongress in Marseille im September 2021 verabschiedete die IUCN die Resolution 075, die die IUCN damit beauftragt, einen inklusiven und partizipativen, von den Mitgliedern gesteuerten Prozess durchzuführen, um die Rolle der Gentechnik und der synthetischen Biologie in Bezug auf den Naturschutz zu untersuchen. Auf der Grundlage dieser Untersuchung fordert die Resolution 075 die IUCN auf, bis zu ihrem nächsten Weltkongress im Jahr 2025 eine Politik zu diesem Thema zu entwickeln.

Dieser Prozess wird eine wichtige Gelegenheit für die globale Naturschutzszene sein, sich über diese neuen Entwicklungen zu informieren. Dieser Prozess wird hoffentlich einen Raum bieten, um zu verstehen, dass es viele unbeantwortete Fragen, Wissenslücken, Risiken und nicht bewertete ökologische Aspekte, konzeptionelle und rechtliche Herausforderungen sowie umfassendere Fragen wie sozioökonomische, kulturelle, ethische und rechtliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der Gentechnik an Wildtieren gibt, die angegangen werden müssen, bevor die IUCN eine Position beziehen kann. In jedem Fall wird diese Position eine wichtige Botschaft an die laufenden Diskussionen zur globalen Regulierung der Gene Drive Technologie auf der Ebene des UN CBD senden.

Für die Zwischenzeit fordert die Stop Gene Drive Kampagne die nationalen Regierungen in aller Welt dazu auf, ein weltweites Moratorium auf die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in der Umwelt (einschließlich Feldversuchen mit diesen Organismen) zu verhängen, solange diese offenen Fragen nicht beantwortet sind und kein globaler Konsens über den Einsatz dieser Technologie erreicht wurde.

Lesen Sie hier mehr darüber, wie Gene Drives funktionieren, welche Risiken  sie mit sich bringen, welche Diskusionen gerade bei der IUCN stattfinden, neuestes über den Stand der Regulierung von Gene Drives und unsere politischen Empfelungen.


Europaparlament: keine Förderung von Gentechnologien in der Entwicklungspolitik

Am 6.10.2021 forderte das Europaparlament bei seiner Plenarsitzung die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten mit seinem Bericht zur "Rolle der Entwicklungspolitik bei der Bekämpfung des Verlusts der biologischen Vielfalt in den Entwicklungsländern im Zusammenhang mit der Umsetzung der Agenda 2030" dazu auf, die Rechte zukünftiger Generationen aktiv zu schützen, keine Gentechnologien mit Geldern der Entwicklungshilfe zu fördern und insbesondere die Freisetzung von Gene Drive Organismen nicht zu gestatten.

Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen Stop Gene Drive Kampagne, begrüßt diese Entschließung:
„Das Europaparlament bestärkt hier zum dritten Mal in Folge seine Forderung, die Gene Drive Technologie aus Vorsorgeerwägungen nicht einzusetzen. Diese Forderung ist auch deshalb so wichtig, da erste Feldversuche mit der Gene Drive Technologie in den nächsten Jahren in Burkina Faso durch das Projektkonsortium Target Malaria umgesetzt werden sollen.“ So hehr das damit verfolgte Ziel, die Malaria bekämpfen zu wollen – so wichtig sei es auch, die unvorhersehbaren und möglicherweise katastrophalen Konsequenzen der grenzüberschreitenden, unkontrollierbaren und unwiderruflichen gentechnischen Veränderung oder Ausrottung von Mücken nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. „Ich fordere EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten dringend dazu auf, die Forderungen des Europaparlaments national und international umzusetzen!“ so Imken.

In Paragraf 32 vertieft das Europaparlament seine Forderung vom 8. Juni 2021 aus der EU-Biodiversitätsstrategie und seiner Entschließung vom 16. Januar 2020 zur 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention:

„[Das Europäische Parlament] stellt fest, dass die Gene Drive Technologie wie bei genetisch veränderten Mücken zur Eindämmung von vektorübertragenen Krankheiten schwerwiegende und neuartige Gefahren für Umwelt und Natur darstellen, darunter unumkehrbare Änderungen in den Lebensmittelversorgungsketten und Ökosystemen sowie Verluste an biologischer Vielfalt – eine Vielfalt, auf die die Ärmsten der Welt für ihren Lebensunterhalt angewiesen sind; bekräftigt seine Besorgnis angesichts der neuen Herausforderungen in den Bereichen Recht, Umwelt, biologische Sicherheit und Regierungsführung, die sich aus der Freisetzung von durch Gene Drive veränderten Organismen in die Umwelt ergeben könnten, selbst wenn die Freisetzung zu zum Zwecke der Erhaltung der Natur erfolgt; bekräftigt, dass die freie, vorherige und in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften eingeholt werden muss, bevor Technologien eingeführt werden, die sich auf deren traditionelles Wissen, Innovation, Gebräuche und Lebensumstände sowie auf die Landnutzung und den Ressourcen- und Wasserverbrauch auswirken können; betont, dass dabei alle möglicherweise betroffenen Bevölkerungsgruppen im Vorfeld auf partizipative Weise einbezogen werden müssen; vertritt die Auffassung, dass Genantriebstechnologien Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Schwierigkeiten geben, das Verhalten der betroffenen Organismen vorherzusagen, und dass durch Genantrieb veränderte Organismen sich selbst zu invasiven Arten wandeln könnten, weshalb nach Maßgabe des Vorsorgeprinzips die Freisetzung von durch Gene Drive veränderten Organismen nicht gestattet werden sollte, auch nicht zum Zwecke der Erhaltung der Natur“

Aus Sicht von Mareike Imken, wäre es ein wichtiger weiterer Schritt, auch angesichts der schlechten Erfahrungen mit patentiertem gentechnisch verändertem Saatgut in Afrika und Lateinamerika, die Forderung in Paragraf 28 des Europaparlaments in nationalen Entwicklungshilfeprogrammen umzusetzen. In Paragraf 28 fordert das Europäische Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, „den Verpflichtungen der Union aus internationalen Übereinkommen Rechnung zu tragen und zudem dafür Sorge zu tragen, dass in Entwicklungsländern mit Geldern aus der Entwicklungshilfe keine Technologien zur genetischen Veränderung gefördert werden.“

Bei dieser Entschließung handelt es sich um eine unverbindliche Stellungnahme des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen zur internationalen Zusammenarbeit auch in internationalen Konventionen wie UN CBD, UNEP, FAO und Handelsabkommen. Um diese Empfehlungen umzusetzen, müsste die EU-Kommission sie in einem eigenen Legislativvorschlag aufgreifen, der dann vom Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten bestätigt werden müsste. Diese Empfehlungen könnten ihren Weg jedoch auch in weniger formell vereinbarte Verhandlungspositionen der EU bei ihrer internationalen Arbeit finden.

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Zur Entschließung:

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Oktober 2021 zu der Rolle der Entwicklungspolitik bei der Eindämmung des Verlusts an biologischer Vielfalt in Entwicklungsländern vor dem Hintergrund der Umsetzung der Agenda 2030 (2020/2274(INI)) – Para 32 zu Gene Drives.

 

Vorherige Resolution des Europaparlaments zu Gene Drives:

Bericht über das Thema „EU-Biodiversitätsstrategie für 2030: Mehr Raum für die Natur in unserem Leben (2020/2273(INI)) – Para. 148 zu Gene Drives

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2020 zu der 15. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (2019/2824(RSP)) - Para. 15 zu Gene Drives


Europäisches Parlament fordert Verbot der Freisetzung von Gene Drive Organismen

Parlamentsbericht zur EU Biodiversitätsstrategiefür 2030 betont das Vorsorgeprinzip

Das Europäische Parlament bekräftigte in seiner Plenarabstimmung am 08.062021 seine vorsorgeorientierte Haltung gegenüber dem Einsatz eines neuen Gentechnikverfahren namens Gene Drive.[i] In ihrem Bericht zur EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, fordern die Parlamentarier*innen, dass "im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip keine Freisetzungen von gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen erlaubt werden sollten, auch nicht zu Naturschutzzwecken."

Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen Stop Gene Drive Kampagne begrüßt diese Entscheidung und kommentiert: "Mit seiner heutigen Position erkennt das Europäische Parlament an, dass die Gene Drive Technologie eine Reihe von wissenschaftlichen, regulatorischen, gesellschaftlichen und ethischen Fragen und Bedenken aufwirft. Da ihr Einsatz die biologische Vielfalt stark beeinträchtigen könnte, fordert das Europäische Parlament, jegliche Freisetzung in die Umwelt aufzuschieben, bis diese Fragen geklärt sind. Dies ist eine wichtige Botschaft, die in die laufenden Diskussionen zur globale Regulierung der Technologie auf dem nächsten Treffen der Internationalen Union für Naturschutz (IUCN) im September in Marseille und in die laufenden Vor-Verhandlungen zur COP 15 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt im Oktober einfließen sollte."

27 zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Organisationen aus der gesamten EU hatten vor der Abstimmung einen Brief an die Parlamentarier*innen geschickt, um den Passus zu unterstützen. Er enthalte „vernünftige Vorschläge dafür, wie die frühere Position des Europäischen Parlaments in der Entschließung zur 15. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (2019/2824(RSP)) umgesetzt werden kann".

In dieser früheren Position, die im Januar 2020 verabschiedet wurde, hatte das Europäische Parlament die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, „auf der COP15 ein globales Moratorium für Freisetzungen von Gene Drive-Organismen in die Natur, einschließlich Feldversuchen, zu fordern, um eine verfrühte Freisetzung dieser neuen Technologien zu verhindern und das Vorsorgeprinzip zu wahren, das sowohl im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union als auch in der CBD verankert ist.“

 

Hintergrundinformationen:

Dies ist der nun angenommene Passus, der im Bericht über das Thema „EU-Biodiversitätsstrategie für 2030: Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“(2020/2273(INI)) durch das Plenum des Europäischen Parlaments angenommen wurde. [ii]:

Das Europäische Parlament,

148. ist besorgt über die neuen Herausforderungen in den Bereichen Recht, Umwelt, biologische Sicherheit und Regierungsführung, die sich aus der Freisetzung von durch Genantrieb veränderten Organismen in die Umwelt, auch zu Naturschutzzwecken, ergeben könnten; nimmt den Bericht der Ad-hoc-Sachverständigengruppe des Übereinkommens über die biologische Vielfalt zu durch Genantrieb veränderten Organismen und lebenden veränderten Fischen zur Kenntnis, in dem Bedenken hinsichtlich der Schwierigkeiten geäußert werden, ihr Verhalten vorherzusagen, ihre Risiken zu bewerten und sie nach der Freisetzung zu kontrollieren; stellt fest, dass durch Genantrieb veränderte Organismen selbst zu invasiven Arten werden könnten; ist der Ansicht, dass auf globaler und EU-Ebene Leitfäden zur Risikobewertung, Instrumente und ein Rahmen für die Umweltüberwachung sowie eine klare globale Steuerung und wirksame Mechanismen zur Kontrolle und Umkehrung der Auswirkungen von durch Genantrieb veränderten Organismen vollständig entwickelt werden sollten und dass zusätzliche Forschung zu den gesundheitlichen, umweltrelevanten, ökologischen, ethischen und anderen Auswirkungen von durch Genantrieb veränderten Organismen erforderlich ist, um ihre potenziellen Auswirkungen besser zu verstehen; ist daher der Auffassung, dass im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip keine Freisetzungen von durch Genantrieb veränderten Organismen zugelassen werden sollten, auch nicht zu Naturschutzzwecken.

 

Pressemitteilung hier herunterladen.

Verbändebrief an MEPs vor der Abstimmung.

Veranstaltungsbericht eines vorherigen interaktiven runden Tisches, organisiert von allen Berichterstattern des Parlamentsberichts zur EU Biodiversitätsstrategie vom 8. Dezember 2020: Genetic engineering of wild species. Protection or destruction of nature?


[i] Abstimmungsergebnisse des Europaparlaments für Paragraphen der EU Biodiversitätsstrategie vom Plenum am 08.09.2021

[ii] Europäisches Parlament: Bericht über das Thema "EU Biodiversitätsstrategie für 2030: Mehr Raum für Natur in unserem Leben."


Mücke

Welt-Malaria-Tag: Braucht es Gene Drives zur Malariabekämpfung?

Infektionskrankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und Borreliose werden von sogenannten Vektoren wie Mücken oder Zecken auf den Menschen übertragen. Im Fall von Malaria wird der Erreger und damit die Krankheit ausschließlich durch Anophelesmücken verbreitet. Ein globales Programm der Malariakontrolle hat bisher dazu beigetragen, die Krankheit in vielen Regionen der Welt zurückzudrängen.

Bereits 38 Länder sind als malariafrei zertifiziert, aber es verbleiben noch immer 86 Länder, in denen die Malariakontrolle nicht ausreichend umgesetzt werden konnte. Das hat mehrere Hunderttausend Tode zur Folge.

Mit Gene Drives Malaria bekämpfen?

Hier kommt die Diskussion über die Gene Drive Technologie ins Spiel. Mücken werden im Labor mithilfe des sogenannten CRISPR/Cas Verfahrens gentechnisch so verändert, dass sie eine neue Eigenschaft an sämtliche Nachkommen weitervererben. Und das auch, wenn diese Eigenschaft dazu führt, dass die Population oder die ganze Art ausstirbt. Auf diese Weise erzeugte Gene Drive Mücken sollen die Zahl der Anophelesmücken in Afrika massiv reduzieren und somit die Übertragung der Malaria verhindern. Gene Drives werden deshalb als effektive technologische Lösung zur Bekämpfung von Malaria propagiert.

Kritische Stimmen

Nutzung der Gene Drive Technologie

Welche Bedenken es bezüglich der Nutzung der Gene Drive Technologie gibt und welches Ziel die europäische Stop Gene Drive Kampagne verfolgt, erklärt Mareike Imken im Kurzinterview. Sie ist die Koordinatorin der Stop Gene Drive Kampagne.

Zum Interview mit Mareike Imken

Einfluss der Bill & Melinda Gates Foundation auf Maßnahmen zur Malariabekämpfung

Eine führende Rolle bei der Entwicklung derartiger Gene Drives spielt das internationale Forschungskonsortium Target Malaria, das zum großen Teil aus Mitteln der Bill & Melinda Gates Foundation finanziert wird. Deren Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik und die durch sie beeinflusste Auswahl von Prioritäten und Maßnahmen auch zur Malariabekämpfung erklärt uns Dr. Andreas Wulf von Medico international im Interview mit uns.

Zum Interview mit Dr. Andreas Wulf

Widerstand gegen die Freisetzung von Gene Drives in Burkina Faso

Die Pläne von Target Malaria zum Einsatz von Gene Drives sind schon so weit, dass erste Modellprojekte in Afrika, darunter auch in Burkina Faso, gestartet wurden. Im Juli 2019 führte Target Malaria in Burkina Faso erste Freilandtests mit gentechnisch veränderten sterilen Mücken durch, die noch keinen Gene Drive trugen. Diese Versuche galten als Vorstufe zur Freisetzung von Gene Drive Mücken in einer späteren Projektphase. Diese und nachfolgende Test stoßen in Teilen der Bevölkerung in Burkina Faso auf Widerstand. Das erklärt Ali Tapsoba, Menschenrechtsaktivist, in seinem Interview mit uns. Ali Tapsoba ist der Sprecher des zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen die Freisetzung von Gene Drives in Burkina Faso.

Zum Interview mit Ali Tapsoba

Behandlung von Malaria mit Artemisia Tee-Aufgüssen

Die Behandlung mit Artemisia-Tees aus afrikanischem Anbau zählt zu den Maßnahmen, die Ali Tapsoba gegenüber der Nutzung der Gene Drive Technologie bevorzugen würde. Davor warnt jedoch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Wie wirksam und sicher Artemisia Tee-Aufgüsse zur Behandlung oder Vorbeugung von Malaria sind, erklärt die internationale renommierte Professorin Pamela Weathers des Worcester Polytechnic Institutes in ihrem Interview mit uns.

Zum Interview mit Pamela Weathers